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Grabesstille

Grabesstille

Titel: Grabesstille Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Tess Gerritsen
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für Innere Sicherheit, das die Bewegungen von Ausländern verfolgte, weshalb es für Illegale nicht sehr schwierig war, unterzutauchen, sei es vorübergehend oder auch auf Dauer. Und das hat Wus Frau getan. Sie verschwand einfach, und nicht einmal Iris Fang hatte auch nur die geringste Ahnung, wohin sie gegangen war.«
    »Für all das haben Sie doch nur Mrs. Fangs Wort. Woher wollen Sie wissen, ob sie die Wahrheit gesagt hat?«, fragte Jane.
    »Mag sein, dass ich naiv bin, aber ich hatte nie Zweifel an ihrer Aufrichtigkeit, nicht eine Sekunde. Es ist wohl einfach ihre Ausstrahlung.« Zucker schüttelte den Kopf. »Sie war so eine tragische Figur, und sie tut mir immer noch leid. Es ist mir unbegreiflich, wie ein Mensch solche Schicksalsschläge überleben kann, wie Mrs. Fang sie erleiden musste.«
    »Schicksalsschläge, sagen Sie?«
    »Da war auch noch die Sache mit ihrer Tochter.«
    Jane erinnerte sich plötzlich an das, was Iris gesagt hatte, als sie beschrieb, dass sie allein lebte. Dass sie keine Familie habe. »Ist die Tochter gestorben?«
    »Das habe ich wohl in meinem Bericht nicht erwähnt, da es für den Vorfall im Red Phoenix nicht relevant war. Iris und James hatten eine vierzehnjährige Tochter, die zwei Jahre zuvor verschwunden war. Die Suche nach dem Mädchen blieb erfolglos.«
    »Mein Gott«, sagte Frost. »Wir hatten ja keine Ahnung. Aber sie hat es auch mit keinem Wort erwähnt.«
    »Sie ist keine Frau, die sich gerne bemitleiden lässt. Aber ich weiß noch, wie ich ihr in die Augen geschaut und den Schmerz darin gesehen habe. Einen Schmerz, den ich mir nicht einmal vorstellen konnte. Und doch besaß sie diese unglaubliche Stärke.« Zucker schwieg einen Moment, als ginge ihm der Kummer der Frau immer noch nahe.
    Und auch für Jane war ein solcher Schmerz unvorstellbar. Sie dachte an ihre eigene Tochter Regina, die erst zweieinhalb Jahre alt war. Und sie überlegte, wie es wäre, ihr Leben weiterleben zu müssen, Jahr um Jahr, ohne zu wissen, ob ihr Kind tot oder am Leben war. Allein die Qual der Ungewissheit könnte eine Frau in den Wahnsinn treiben. Und dann auch noch den Mann zu verlieren …
    »Eine solche Tragödie«, sagte Zucker, »hat immer weitreichende Nachwirkungen. Aber das, was nach dem Amoklauf im Red Phoenix geschah, ging weit über die Zerstörung einzelner Familien hinaus. Es ist, als sei das Massaker mit einem Fluch einhergegangen. Einem Fluch, der immer weitere Opfer forderte.«
    Es schien plötzlich kälter geworden zu sein. So kalt, dass Jane eine Gänsehaut an den Armen bekam. »Wie meinen Sie das – ein Fluch?«
    »Binnen eines einzigen Monats ereigneten sich gleich mehrere Tragödien. Detective Staines brach plötzlich zusammen und war tot – Herzinfarkt. Ein Kriminaltechniker, der im Tatortteam gearbeitet hatte, kam bei einem Verkehrsunfall ums Leben. Detective Ingersolls Frau erlitt einen Schlaganfall und starb wenig später. Und dann war da noch das vermisste Mädchen.«
    »Welches Mädchen?«
    »Charlotte Dion, die siebzehnjährige Tochter von Dina Mallory, einem der Opfer aus dem Restaurant. Wenige Wochen nachdem Dina im Red Phoenix ums Leben gekommen war, verschwand Charlotte während eines Schulausflugs. Sie wurde nie gefunden.«
    Jane konnte plötzlich ihren eigenen Herzschlag hören, laut wie eine Trommel in ihren Ohren. »Und Sie sagten, Iris Fangs Tochter sei ebenfalls verschwunden.«
    Zucker nickte. »Zwischen dem Verschwinden der beiden Mädchen lagen zwei Jahre, aber es ist dennoch ein unheimlicher Zufall, nicht wahr? Zwei Opfer des Red-Phoenix-Massakers, deren Töchter spurlos verschwunden sind.«
    » War es ein Zufall?«
    »Was sollte es sonst sein? Die beiden Familien kannten sich nicht. Die Fangs waren Einwanderer, die mühsam Fuß zu fassen suchten. Charlottes Eltern gehörten zu den vornehmsten Familien von Boston. Es gab keine andere Verbindung zwischen ihnen. Da ist der Fluch des Red Phoenix vielleicht die einzige Erklärung.« Sein Blick fiel auf die Fallakte. »Oder vielleicht ist es dieses Gebäude. In Chinatown glauben sie, dass es dort spukt. Es heißt, das Böse hefte sich an jeden, der es betritt.« Er sah Jane an. »Und folge ihm dann auf Schritt und Tritt.«

10
    Jane mochte keine Zufälle. Im komplizierten Gewebe des Lebens kamen sie natürlich vor, aber immer wieder drängte es sie herauszufinden, warum die Fäden sich genau an einer bestimmten Stelle trafen – ob es wirklich Zufall war oder ob sich ein größeres Muster dahinter verbarg,

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