Grablichter - Almstädt, E: Grablichter
nichts.« Er hörte selbst, wie trotzig das klang. Aber verdammt, niemand konnte seine Freundin wieder zum Leben erwecken, auch nicht die beste Polizeibeamtin. Und was das Ganze noch schlimmer machte: Sie erinnerte ihn schmerzlich an Lisanne. Beide hatten dieselbe Art zu arbeiten: effizient, hochmotiviert und hartnäckig.
»Wer hatte alles einen Schlüssel zu Frau Olsens Haus?«, fragte sie, anscheinend unbeeindruckt von seinem trotzigen Tonfall. Bestimmt kannte sie das alles schon, die ganze Bandbreite menschlicher Reaktionen. Was für ein Job!
»Nur Lisanne und ich.«
»Ihr Onkel oder eine Freundin?«
»Kann ich mir nicht vorstellen.« Er schüttelte nachdrücklich mit dem Kopf.
»Oder hatte sie eine Putzfrau?«
»Ja, jetzt, wo Sie es sagen. Meta Stoppe kam zweimal in der Woche für zwei Stunden. Sie ist die Perle von Kirchhagen, soll heißen, sie putzt in vielen Haushalten. Sie ist ein bisschen eigenwillig, aber trotzdem die Beste, die man bekommen kann. Meistens war Lisanne schon zur Arbeit gefahren, wenn sie kam. Sie muss einen Schlüssel gehabt haben, sie haben recht.«
»Hat Frau Stoppe auch bei Ihnen geputzt?«
»Oh, nein. Sieht es so aus?«
Er fühlte sich plötzlich verlegen unter ihrem glasklaren Blick. Das helle Licht der Wintersonne blendete ihn.
»Wo kann ich diese Meta Stoppe finden?«
»Sie wohnt direkt hinterm Dorfkrug .«
»Danke schön.«
Er beobachtete sie, wie sie in ihren schwarzen Citroen stieg und vom Hof fuhr. Er war wieder allein.
Gerlach hatte sich gerade in seinem Bürostuhl zurückgelehnt und die Füße auf der Fensterbank platziert, was ihm bei seinen einsneunzig eine einigermaßen entspannte Sitzhaltung ermöglichte. Vor sich auf dem Schreibtisch standen ein Becher frischer Kaffee, eine Flasche Fanta und die obligatorische Mohnschnecke, die er sich stets auf dem Weg zur Arbeit kaufte. Fanta und Mohnschnecke, das schäumte immer so schön im Magen!
Es hätte eine entspannte Frühstückspause werden können, wäre sein Kollege Heidmüller nicht in diesem Moment in sein Büro geplatzt. »Du rätst nie, was mit dem Ding hier los ist!«, rief er fröhlich. Er trug Lisanne Olsens Notebook wie ein Baby auf dem Arm. Sein rundes Gesicht war gerötet, seine Augen glänzten.
Gerlachs Neugierde focht einen kurzen Kampf mit seinem Appetit. Die Neugierde siegte. »Kannst du das Ding hier hinstellen? Was hast du gefunden?«
»Nichts.« Er wischte ein paar Krümel beiseite, bevor er das Notebook auf Gerlachs Schreibtisch abstellte, aufklappte und auf der Tastatur herumzutippen begann.
»Wie – nichts? Alles gelöscht?«
»Schön wäre es.« Auf Heidmüllers Gesicht zeigte sich ein ironisches Lächeln. Gerlach wartete ungeduldig darauf, dasssein Kollege fortfuhr. »Man kann Dateien auf einem Rechner niemals wirklich löschen. Du müsstest die Festplatte einstampfen und in winzige Teile schreddern, wenn du es richtig machen willst.«
»Ist das denn passiert?«, fragte Gerlach ungläubig.
»Nein. Es ist viel trivialer und gleichzeitig irgendwie genial … Es ist keine Festplatte mehr im Laptop.«
»Das Ding ist eine … Hülle?«
»Jetzt schon. Du musst nur eine Schraube lösen bei dem Fabrikat, und die Festplatte fällt dir entgegen. Ich kann nichts machen.«
Gerlach stöhnte auf.
»Ich liefere nur die Fakten«, sagte Heidmüller, »interpretieren müsst ihr sie schon selbst. Brauchst du mich noch?«
Der süßliche Geruch der Mohnschnecke hing in der Luft und weckte, wie Gerlach vermutete, den Fluchtinstinkt bei Heidmüller. Im Gegensatz zu ihm – er achtete peinlichst auf sein Gewicht und ging regelmäßig ins Fitnessstudio – schleppte Heidmüller etwa zwanzig Kilo Übergewicht mit sich herum. Ab und zu versuchte er anscheinend abzunehmen. Vielleicht war es mal wieder so weit, und er stand deshalb nicht auf den Geruch von Mohnschnecken am Vormittag.
»Willst du bei der Besprechung nachher dabei sein?«, fragte Gerlach. »Ich würde dir Bescheid sagen, dann kannst du es den anderen selbst erzählen. Es kann allerdings später werden. Broders und Korittki sind unterwegs …«
Heidmüller klappte das Notebook zu und winkte ab. »Ich hab’ noch was anderes zu tun. Guten Appetit auch.«
Hinter seinem Rücken rollte Gerlach mit den Augen und griff zur Fantaflasche.
10. Kapitel
E s war kurz nach acht Uhr abends, als Pia Korittki wieder im Polizeihochhaus eintraf. Die anderen erwarteten sie schon ungeduldig. Broders, verschwitzt und grantig, konfrontierte sie gleich mit
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