Grablichter - Almstädt, E: Grablichter
Vater war schon Lohnarbeiter bei den Dettendorfs, da haben sich im Schlehenweg noch die Schweine gesuhlt.«
Pia musste unwillkürlich lächeln. Kirchhagen war wie jedes andere Dorf auch. Jeder kannte jeden, und es gab immer irgendjemanden, der etwas wusste, das ihnen weiterhelfen konnte, dachte sie mit neu erwachendem Elan. »An LisanneOlsens Haustürschlüssel stand also Lisanne , und damit wusste in Kirchhagen quasi jeder, in welche Tür er passte«, stellte sie in neutralem Ton fest.
»Nun ja, die Leute hier kannten sie«, räumte die Stoppe widerwillig ein. Sie zog eine Rolle weißes Kräuselband hervor und steckte es an der Oberkante des Stoffes fest.
»Wo befindet sich der Schlüsselbund, während Sie in den Haushalten arbeiten?«
»Nicht in meiner Kitteltasche, wenn Sie darauf hinauswollen«, sagte die Stoppe schnell, »davon geht der Stoff kaputt. Ich habe ihn in meiner Handtasche, und die hänge ich immer an die Garderobe.«
»Es könnte also, rein theoretisch, jemand Lisannes Schlüssel an sich genommen haben, während sie gearbeitet haben?«
»Nein. Er hängt immer noch am Schlüsselbund, Sie können gerne nachsehen!«
»Gibt es einen Schlüsseldienst in Kirchhagen? Kann man irgendwo Nachschlüssel anfertigen lassen?«
»Beim Schuster«, grummelte die Stoppe, »ansonsten nur in der Stadt.« Sie trat so kräftig auf das Pedal der Nähmaschine, dass diese protestierend aufheulte.
Pia machte sich eine kurze Notiz. »Wie ist Ihr Verhältnis zu Herrn Dettendorf heute?«, fragte sie weiter. Ihre Füße wurden langsam zu Eisklumpen.
»Wie soll es schon sein? Er hat mich seiner Freundin empfohlen, daher meine Arbeit dort. Als mein Vater gestorben war und ich aus meinem Elternhaus raus musste, da haben mir die Dettendorfs geholfen. Vater hatte Schulden gemacht, von denen ich nicht wusste. Dettendorf hat mir damals etwas Geld geliehen, aber das habe ich längst zurückgezahlt, auf Heller und Pfennig. Jan Dettendorf ist ein anständiger Mensch. Ich frage mich, ob er meine Hilfe braucht, jetzt, wo seine Freundintot ist. Männer sind oft so hilflos. Der Leichenschmaus und so … Er wird es zu Hause machen wollen, und das halbe Dorf wird antanzen. Wissen Sie, wann die Beerdigung ist?«
»Sobald die Rechtsmedizin die Tote freigibt. Ich könnte mir vorstellen, dass Herr Dettendorf die Burmeisters mit der Bestattung beauftragen wird.«
»Ach die.« Die Stoppe fegte das Ehepaar Burmeister mitsamt seinem Bestattungsinstitut mit einer einzigen Geste vom Tisch. Ein paar Garnrollen fielen hinunter und rollten über den Fußboden. »Die nehmen es doch auch nur von den Lebendigen. Eine Hilfe sind die bestimmt nicht. Ich weiß noch, damals bei meinem Vater: Es stimmte vorn und hinten nicht. Die ganze Organisation war ein Chaos, der Stein wurde und wurde nicht fertig, und die Sargträger, die die bestellt hatten, waren schon morgens um zehn betrunken. Ich wollte, dass unsere Nachbarn den Sarg tragen, wie sich das gehört auf dem Lande, aber Ernst Hagemann, Marions Vater, hat mir davon abgeraten. Die Leute, die er bestellt hat, haben sich hinterher beschwert, dass der Sarg so schwer gewesen wäre. Natürlich nicht bei mir, aber ich hab’ es trotzdem erfahren. Dabei habe ich meinen Vater zu Tode gepflegt, er wog zum Schluss nicht mehr als eine Maus!«
Sie hatte das Kräuselband fertig aufgenäht und zerrte erregt an dem Faden. Das Garn schnitt in ihre Haut, bevor es mit einem knackenden Geräusch zerriss. Pia hielt ihr die Schere hin. Meta Stoppe nahm sie und schnitt damit in der Luft herum. »Simon und Marion Burmeister hätten das Bestattungsinstitut nicht übernehmen dürfen. Er hat keine Ahnung und offensichtlich auch keine Lust zu diesem doch sehr verantwortungsvollen Beruf. Und sie, sie spielt lieber die Bürgermeisterin! Aber es geht schließlich um die Würde der Verstorbenen! Ich behaupte, der alte Hagemann, der hat damals irgendwie Mist gebaut.«
»Wie meinen Sie das?«, fragte Pia. Hagemann war also der Vater von Marion Burmeister und früher für die Bestattungen in Kirchhagen zuständig gewesen. Simon Burmeister hatte in die Familie eingeheiratet und das Geschäft zusammen mit seiner Frau übernommen.
»Sie haben in diesem Sommer das Gräberfeld aufgelöst, auf dem mein Vater beerdigt wurde. Die Reihengräber sind ja nach dreißig Jahren abgelaufen. Aber ich kenne den Kuno recht gut, den Totengräber. Er hat die Steine rausgeholt und alles eingeebnet. Als sie an der Stelle, wo mal das Grab meines Vaters
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