Grablichter - Almstädt, E: Grablichter
unaufgefordert und schlug mit lauerndem Blick die Beine übereinander. Sie trug schwarze Perlonstrümpfe unter ihrem wattierten Bademantel, mit vielen schwarzen Querstrichen, wie raue Hände sie verursachen, wenn sie darüberstreichen. Strümpfe, die seine Meike schon längst aussortiert und in den Müll geworfen hätte.
»Er liebte seine Nichten, als wär’s sein eigen Fleisch und Blut, hat er mal gesagt. Als die Mädchen klein waren, hat er sie gewickelt und gefüttert, während die Mutter, diese Rita, shoppen gegangen ist. Aber hat es ihm eine von denen je gedankt? Nee! Bin ich froh, dass mir das erspart geblieben ist, Kinder und so.«
»Hat er mal erwähnt, dass seine Nichte Fabienne gestorben ist?«, fragte Gerlach.
»Die Fabienne? Tot? Er hat mir nie kein Wort davon gesagt.« Sie schüttelte ungläubig den Kopf und quetschte den Zigarettenstummel im Aschenbecher aus. Die doppelte Verneinung schien ihr immer bei großer Erregung herauszurutschen. Ein Lügendetektor für den Hausgebrauch, dachte Gerlach.
»Wir haben Grund zu der Annahme, dass sie in Frankreich gestorben ist. Die französischen Behörden haben sich an das Auswärtige Amt gewandt wegen einer unbekannten Toten, wahrscheinlich einer Deutschen. Das BKA hat ein Foto von ihr veröffentlicht.«
»Davon weiß ich nichts«, behauptete sie. »Wollen Sie was trinken? Kaffee, Kognak? Ich brauch’ jetzt was.« Sie beugte sich erwartungsvoll zu ihm vor, und der Ausschnitt ihres Bademantels klaffte auf. Gerlach zwang sich, ihrem Blick standzuhalten. Er musste sich räuspern, was ihr ein geringschätziges Lächeln entlockte. »Einen Kaffee würde ich mittrinken.«
»Aber immer, Schätzchen.« Sie bediente sich des gleichen Vokabularswie Broders, nur dass es ihm bei der Landowsky ein Schaudern verursachte. Die künstlichen Löwentatzen schlurften über den Teppichboden, als sie in die Küche ging.
Gerlach musterte die leeren Pizzaschachteln eines Bringdienstes und die Bierdosen auf dem Couchtisch. Es roch säuerlich und staubig; vertraut und zugleich unendlich weit entfernt. Er sehnte sich nach seiner gepflegten und aufgeräumten Altbauwohnung. Hatten ihn seine ganzen Überstunden, die endlosen Lehrgänge und die Plackerei doch nur wieder hierher geführt? Würde er nie lernen zu unterscheiden zwischen den Zwängen seines Jobs, den Ermittlungen, die ihn in jedes Milieu führen konnten, und seinem jetzigen Leben, das er sich mühsam aufgebaut hatte und das mit der Armut und dem Elend der früheren Jahre nichts mehr zu tun hatte?
Er versuchte sich wieder auf den Fall zu konzentrieren. Die Landowsky wusste etwas, doch sie war noch unentschlossen, wie viel sie ihm erzählen wollte. Solange sie schwieg, hatte sie Macht über ihn. Eine bescheidene Macht, aber doch mehr, als sie sich sonst je erhoffen konnte. Er musste ihr entgegenkommen, ob er wollte oder nicht.
Ellen Landowsky betrat mit zwei Bechern Kaffee den Raum und stellte sie auf einem Stapel Illustrierter auf dem Couchtisch ab. Dann zog sie eine Flasche Kognak aus einem dunklen Winkel neben dem Sofa hervor und goss sich einen kräftigen Schuss in den Kaffee.
»Auch einen? Ich verrat’ es auch keinem.« Die halb leere Flasche schwebte über Gerlachs Becher.
»Einen kleinen, ich muss noch fahren.«
»Einer schadet nicht.« Der Becher schwappte fast über.
»Danke. Hoffentlich kommt Herr Kruse jetzt nicht nach Hause. Was wird der denken, wenn er uns hier so sieht?«
»Ach, der trifft sich mit seinen Kumpels. Mir ist’s recht, ich hab’ sturmfreie Bude bis kurz vor Mitternacht.« Sie sah plötzlich traurig aus.
»Wo trifft er sich?«
»Na, ums Eck in der Kneipe. Wo treffen sich die Kerle schon, wenn sie Langeweile haben?«
»War er auch am letzten Montagabend dort?«
»Bestimmt. Wo sollte er sonst gewesen sein? Fragen Sie doch seine Kumpels, wenn Sie es genau wissen müssen.«
Gerlach probierte das Kaffee-Kognak-Gemisch und hätte sich beinahe verschluckt. Das Zeug brannte in der Kehle wie scharfer Reiniger. Er grinste tapfer und sagte: »Tut gut, Ihr Kaffee. In der dunklen Jahreszeit wird einem immer ganz trübsinnig zumute.«
»Das kenne ich. Und Sie müssen auch noch arbeiten am Wochenende, Sie Armer! Aber ich will Ihnen was sagen. Weil Sie ’n Guter sind. Ich weiß Bescheid über die Menschen, glauben Sie mir. Ich seh’ fast jedem an, was er für einer ist. Gibt viele schlechte Menschen, viel zu viele. Wenn man allein daran denkt, wer das der jungen Frau angetan hat … Auch wenn sie
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