Grablichter - Almstädt, E: Grablichter
und einige andere sind genauso betroffen.«
»Okay. Sie und Anke Loss sind also in Bezug auf die Umgehungsstraße unterschiedlicher Ansicht, aber am Samstagabend sind Sie über Ihren Schatten gesprungen, um einer verstörten Frau ein wenig beizustehen. Was geschah danach?«
»Ich bin nach Hause gegangen. Ich war zu Fuß unterwegs, und Roberta war auch nicht mit, da ich sie nicht dem Rauch und Lärm in der Kneipe aussetzen mochte. Draußen anbinden wollte ich sie auch nicht, außerdem passt sie ganz gut auf Haus und Hof auf, wenn ich nicht da bin. Ich habe vor Heinrichs Haus die Straße überquert, bin bei Reuter vorbei und dann die Pfarrstraße hinter der Kirche hinuntergegangen.«
Pia war inzwischen mit den örtlichen Gegebenheiten in Kirchhagen einigermaßen vertraut. »Wieso sind Sie nicht an der Hauptstraße entlanggegangen?«, fragte sie.
»Weil es ein klein bisschen kürzer ist. Außerdem rasen dort die Lkws so dicht an einem vorbei, dass man Angst haben muss, jeden Moment mitgerissen zu werden. Nachts hält sich doch keiner an Geschwindigkeitsbegrenzungen.«
»Wie spät war es, als Sie die Kneipe verließen?«, hakte Pia nach und holte ihren Notizblock hervor.
»Kurz vor elf. Als ich an der Kirche vorbeiging, schlug die Uhr.«
»Ist Ihnen jemand gefolgt?«
»Nein. Zumindest ist mir nichts aufgefallen. Franky, also Frank Reuter, sagte mir später, er hätte mich vorbeigehen sehen und wäre ein paar Minuten später hinter mir hergekommen, aber ich hatte nichts bemerkt. Ich war – in Gedanken versunken.«
»Frank Reuter?«
»Genau. Es war mein Glück, dass er dazugekommen ist.«
Pia hörte sich Dettendorfs Schilderung des Überfalls konzentriert an und machte sich ein paar Notizen. Es gab wenig Anhaltspunkte, wer die Angreifer gewesen sein konnten. Weder der Wagentyp noch das Kennzeichen waren bekannt, es gab keine brauchbare Personenbeschreibung, nur diesen einen Namen hatte Dettendorf gehört: Ranko. Unter Umständen konnte Frank Reuter noch das eine oder andere Detail ergänzen, aber Pia bezweifelte, dass man die Männer ausfindig machen, geschweige denn überführen konnte, die Dettendorf aufgelauert hatten.
Außerdem offenbarte der geschilderte Überfall ein völlig anderes Vorgehen als die tödliche Falle, die man Lisanne Olsen gestellt hatte. Vielleicht hatte Dettendorf recht, und die beiden Ereignisse hatten wirklich nichts miteinander zu tun. Andererseits lagen die beiden Vorfälle gerade mal vier Tage auseinander, und Dettendorf hätte genauso wie Lisanne Olsen tot sein können, wäre Reuter ihm nicht zu Hilfe gekommen.
»Haben Sie die Verletzungen von einem Arzt versorgen lassen?«, fragte Pia, denn Dettendorfs zugeschwollenes Auge sah nicht gerade fachgerecht versorgt aus.
»Nein.«
»Das könnte aber sinnvoll sein. Insbesondere, wenn Sie noch Anzeige erstatten wollen. Und mit seinem Augenlicht sollte man sowieso nicht leichtfertig umgehen.«
Dettendorf schüttelte den Kopf. »Ist doch nichts, ein blaues Auge und ein paar blaue Flecken. Franky hat mir gleich danach ’n rohes Kotelett aufs Auge gepackt. Hinterher haben wir es in die Pfanne gehauen.« Er schmunzelte, wollte den Vorfall herunterspielen. Gab es dafür einen Grund, oder markierte er einfach gern den harten Mann?
»Haben Sie inzwischen eine Idee, wo Lisannes Terminkalender sein könnte?«, fragte Pia nun, weil sie wenig Lust hatte, die besorgte Gouvernante zu mimen. Der Themenwechsel schien Dettendorf zu überraschen.
»Ich – nein, keine Ahnung. Er muss da sein. Sie war doch ständig damit zugange.«
»Tatsache ist, dass der Kalender nicht auffindbar ist. Dabei wäre es enorm hilfreich, wenn wir Lisanne Olsens Termine in den Tagen und Wochen vor ihrem Tod rekonstruieren könnten. Dieser Mord an ihrer Freundin ist nicht aus heiterem Himmel passiert. Es muss vorher etwas vorgefallen sein.«
»Warten Sie mal, vielleicht kann ich doch helfen.« Er stand mühsam auf, verzog dabei das Gesicht und ging hinüber zu einem wuchtigen Eichensekretär. Nach kurzem Suchen kam er mit einem Buch zurück und schlug es auf.
»Mein Betriebstagebuch. Hier notiere ich alles, was so auf dem Hof passiert. Meine eigenen Termine trage ich der Einfachheit halber mit dazu, und manchmal steht auch etwas über Lisanne darin. Könnte Ihnen das weiterhelfen?«
»Gut möglich. Alles ist wichtig, was direkt oder indirekt mit ihrer Freundin zu tun hat.«
Dettendorf nickte. Er berichtete von der Einwohnerversammlung am Montagabend vor Lisannes Tod,
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