Grablichter - Almstädt, E: Grablichter
voll für heute …« Sie verließen den Schuppen, die Mühlbergzog die Tür zu und schob einen Riegel vor. »Sie kommen wegen der Journalistin, nicht wahr?«, sagte sie über ihre Schulter hinweg, während sie erstaunlich flink vor Pia den schmalen Pfad entlanghumpelte.
»Ich bin hier, weil ich mir von Ihnen ein paar Antworten erhoffe, die uns helfen, den Tod von Lisanne Olsen aufzuklären.«
»Lisanne Olsens Tod hat mich hart getroffen. Es war Mord, habe ich gehört. Kommen Sie rein. Hier drinnen ist es wind- und regengeschützt, wenn auch nicht gerade warm.«
Sie betraten eine quadratische Halle mit schmutzigen in grün-beigem Schachbrettmuster verlegten Fliesen. Am Treppenabsatz stand eine alte Truhe, über die Jacken, Decken und Zeitungen verteilt lagen. Henriette Mühlberg schmiss den indianisch aussehenden Poncho, den sie getragen hatte, oben drauf und ging Pia voraus in eine Küche von beachtlichem Ausmaß.
»Sie können Ihre Stiefel anbehalten, die Katzen, wissen Sie …«
Pia nickte und sah sich um. Die auf Fensterbänken und Stühlen hockenden Katzen waren eindeutig nicht das einzige Hygieneproblem. Aber war das verwunderlich? Sie selbst hatte kaum mehr als dreißig Quadratmeter, die sie sauber halten musste, und dieses Haus hatte bestimmt dreihundert!
Im hellen Licht der Küche konnte Pia erkennen, dass es sich bei Henriette Mühlberg tatsächlich um die zweite Frau auf dem Foto des Zeitungsartikels handelte. Im Gegensatz zu Marion Burmeister hatte sie seit der Aufnahme allerdings einiges an Gewicht zugelegt. Ihr Haar war grau und sah aus, als hätte sie es selbst geschnitten, ihre Kleidung war aus derbem Stoff genäht, und ihre Füße steckten in grob gestrickten Wollsocken und Gesundheitssandalen.
»Mögen Sie Fliederbeergrog?«, fragte die Mühlberg. »Von zu viel Kaffee bekomme ich Herzrasen.«
»Sie müssen sich keine Mühe machen, es geht nur um ein paar Fragen …« Pia zog ihren Block hervor.
»Es macht keine Mühe. Er ist fast fertig. Sehen Sie hier …« Sie klopfte auf einen braunen Metallkasten, der zwischen dem Spülstein und einem alten Küchentisch auf einem Hocker stand. Es war eine Mikrowelle, allerdings aus der Zeit, als Mikrowellen noch als Wunderwerke moderner Küchentechnik galten. »Das ist meine neueste Errungenschaft vom Sperrmüll. Funktioniert einwandfrei. Nehmen Sie ruhig einen kleinen Grog. Ist gut gegen Erkältung. Ich war extra ein paar Mal los und hab’ in den Knicks die Fliederbeeren gesammelt. Interessiert die meisten Leute ja nicht mehr, was die Natur so zu bieten hat. Brombeergelee hab’ ich auch gemacht. Ich meine, wenn der liebe Gott das Zeug so einfach wachsen lässt, dann muss es doch auch zu irgendwas nütze sein, oder?«
»Ich nehme einen, aber mit wenig Rum«, sagte Pia.
»Rum?«, fragte die Mühlberg und stellte zwei Becher mit einer schwarzroten Flüssigkeit in den braunen Kasten.
Das Zeug ist nicht schlecht, dachte Pia, als sie den heißen Becher in beiden Händen hielt. Nur dass Zunge und Zähne davon lila wurden, Flecken auf hellen Textilien würde man rausschneiden müssen.
»Lisanne Olsen«, nahm sie einen zweiten Anlauf. »Woher kannten Sie sie?«
»Eines schönen Tages kam sie hier an, so wie Sie heute, und fragte mir Löcher in den Bauch. Über mein Leben, meinen Beruf, vor allem die Jahre in Südamerika. Sie sagte, sie wolle etwas über außergewöhnliche Menschen in der Region schreiben. Menschen, die sich über Konventionen hinweggesetzt oder etwas Besonderes erlebt oder geleistet hätten. Ich fühltemich geschmeichelt. So ein junges Ding, voller Leben, interessierte sich für mich. Wir machten einen Termin aus, und sie war etwa zwei Stunden hier.«
»Können Sie mir sagen, wann genau das war?«
»Ha, erwischt. Kann ich eben nicht. Ich weiß manchmal nicht einmal mehr, was für einen Tag wir heute haben. Die Heizsaison hatte noch nicht begonnen, daran kann ich mich erinnern, aber es wurde schon frisch.«
»Über was genau wollte sie schreiben? Was haben Sie getan?«, fragte Pia.
»Ich habe in Berlin Ethnologie studiert und am dortigen Ethnologischen Institut gearbeitet. Ich war lange Jahre im Ausland, hauptsächlich in Ecuador und Peru. Ich wohne erst seit März 2000 wieder hier. Das Haus habe ich 1972 von meiner Tante geerbt. Ich fand es immer zu groß für mich allein, hatte aber nicht das Herz, es zu verkaufen. Es war zwischendurch immer mal wieder vermietet, während ich im Ausland war. Den Jahrtausendwechsel habe ich noch in
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