Grablichter - Almstädt, E: Grablichter
nicht«, sagte Pia. »Woher kennen Sie diese Henriette Mühlberg?«
»Die kennt hier jeder. Ein Unikum. Lisanne wollte einen Artikel über sie schreiben, das weiß ich noch … Sie hat sie mal in ihrem Haus besucht.«
Genau das habe ich jetzt auch vor, dachte Pia und stand auf. Dettendorf schien mit seinen Kräften am Ende zu sein. Er war mittlerweile in einem Zustand, der nur noch Krankenschwestern und Frauen mit Helfersyndrom aus der Reserve locken konnte. Blass wie Magerquark, sein Auge schien noch weiter zugeschwollen zu sein, und die Haut drum herum leuchtete jetzt grünlich. Es tat Pia leid, dass sie ihn so lange befragt hatte, aber hätte er sich nach dem Überfall gleich bei ihnen gemeldet, wäre die Sache längst erledigt gewesen.
Er brachte sie zur Tür. Sein Hund folgte ihnen und sah Pia mit schief gelegtem Kopf aufmerksam an. Irgendwie fand sie es tröstlich, dass Dettendorf nicht vollkommen allein in seinem Haus zurückblieb. Im Flur war es kühl, und es roch nachPferd und Feuchtigkeit. Sie gab ihm zum Abschied die Hand, und er hielt sie einen Augenblick zu lange fest.
»Bin ich jetzt ihr Hauptverdächtiger?«, fragte er mit einer Stimme, die in scharfem Kontrast zu seinem warmen Händedruck stand.
»Wie kommen Sie darauf?«
»Lisanne … Ich merke erst jetzt, dass sie offenbar nicht viele Menschen hatte, die ihr nahestanden.«
15. Kapitel
H enriette Mühlbergs Haus lag auf einer kleinen Anhöhe, die irgendwie künstlich wirkte, obwohl man in dieser Gegend bei fast jeder auffälligen Bodenformation auf die ursächliche Beteiligung der letzten oder vorletzten Eiszeit zählen konnte. Auf den ersten Blick sah es aus, als hätte Pia eine stattliche Landhausvilla aus der Zeit der vorletzten Jahrhundertwende vor sich. Mit großzügigem Erker, einer Terrasse mit Freitreppe, Fachwerkgiebel und einem seitlichen Türmchen. Auf den zweiten Blick sah Pia Risse im Mauerwerk, abbröckelnden Putz und eine Fensterscheibe im Obergeschoss, die durch eine Sperrholzplatte ersetzt worden war. Das Mühlbergsche Haus hatte seine besten Jahre wohl lange hinter sich und lechzte nach einer Finanzspritze in sechsstelliger Höhe.
Pia stellte ihren kleinen Citroen unterhalb des seitlichen Eingangs ab und stieg die fünf flachen Steinstufen zur Haustür hoch. Da sie keine Klingel fand, klopfte sie kräftig gegen die große Holztür. Als niemand erschien, hämmerte Pia noch lauter, doch die einzige Antwort war das sonore Rauschen der nahe gelegenen Autobahn und ein seltsames Klopfgeräusch, fast wie ein Echo.
Vielleicht war die Frau irgendwo anders auf dem Grundstück? Es dämmerte bereits, in einer halben Stunde würde es hier draußen stockdunkel sein. Pia entdeckte einen kleinen Trampelpfad, der rechts um das Haus herumführte, und folgte ihm. Eine getigerte Katze, die wie aus dem Nichts auftauchte, lief ihr mit federnden Schritten voraus. Die düstere Stimmungdes Ortes schlug sich auf Pias Stimmung nieder. Als sie ein lautes Krachen und Splittern hörte, gefolgt von einem kehligen Schrei, fasste ihre Hand fast automatisch zu ihrer Waffe. Die Katze verfolgte eine andere Strategie: Sie verzog sich lautlos ins Unterholz.
Pia ging noch ein paar Schritte weiter und sah einen Schuppen vor sich, der an der Außenmauer des Hauses klebte wie ein Furunkel. Durch die angelehnte Tür fiel Licht, der Schrei schien von drinnen gekommen zu sein. Pia lief zur Tür und zog sie auf. »Frau Mühlberg, sind Sie hier? Ist alles in Ordnung?«
»Aaah, ja. Verdammt, entschuldigen Sie, aber meine Schulter bringt mich gerade um. Wer sind Sie?«
»Pia Korittki, Kripo Lübeck. Frau Stoppe hat mir Ihre Adresse gegeben. Kann ich Ihnen helfen?«
»Ja. Wie wäre es mit einer Gaszentralheizung?«
Pias Blick fiel auf sorgfältig aufgeschichtetes Brennholz, das fast bis unter die Decke reichte. Henriette Mühlberg hielt eine Axt in der Hand.
»Sie heizen mit Holz?«, fragte Pia erstaunt. »Und hacken das alles selbst?«
»Bisher ja, aber wenn es so weitergeht, wird es ein ungemütlicher Winter. Neuerdings spielen meine Gelenke nicht mehr mit. Aber was soll’s. Oder können Sie Holz hacken?«
»Ich hab’s noch nie versucht«, gestand Pia und kam sich gegenüber der älteren Frau verweichlicht und unbeholfen vor.
»Alles Übungssache«, schnaufte diese mit schmerzverzerrtem Gesicht. »Wie kann ich Ihnen helfen?«
»Ich bin hier, weil ich Ihnen ein paar Fragen stellen muss«, sagte Pia.
»Dann lassen Sie uns ins Haus gehen. Ich habe eh die Nase
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