Grablichter - Almstädt, E: Grablichter
Quito gefeiert. An die Kälte in Deutschland werde ich mich wohl nie wieder gewöhnen.«
»Was genau haben Sie in Ecuador und Peru gemacht?«
»Eines meiner Projekte beschäftigte sich mit dem Volk der Shuar. Ich habe bei ihnen gelebt. Ethnologische Forschung bedeutet nun einmal teilnehmende Beobachtung. Und als ich vor Ort war und miterlebt habe, wie der Lebensraum, der tropische Regenwald, unwiederbringlich und systematisch zerstört wird, musste ich einfach etwas dagegen tun. Es gibt dort Tier- und Pflanzenarten, die noch nicht einmal entdeckt, geschweige denn erforscht worden sind. Viele Tierarten, Schlangen oder Spinnen, die den Europäern Angst machen, werden grundlos vernichtet. Dabei sind das absolut faszinierende Tiere. Das Gift einer Buschmeister oder einer Grubenotterkann einen Menschen zwar töten, aber wenn man sich zu benehmen weiß, kommt es in der Regel nicht dazu. Ich bin ja auch noch quicklebendig …« Sie verzog angesichts einer ungeschickten Drehung ihres Schultergelenks schmerzgeplagt das Gesicht. »Na ja, fast.«
»Lisanne Olsen wollte also über Ihre Arbeit schreiben?«
»Ja, über mich und meine Arbeit. Sie nannte es ein Porträt. Haben Sie etwas darüber bei ihr gefunden?«
»Nein, bisher nicht«, sagte Pia ausweichend. Dass die Festplatte des Notebooks verschwunden war, wollte sie der Mühlberg nicht auf die Nase binden. »Wann und wo ist der Artikel über Sie denn erschienen?«, fragte sie stattdessen.
»Nirgendwo. Ich war auch etwas … enttäuscht, ist zu viel gesagt. Aber ich habe einen ganzen Nachmittag hier mit ihr gesessen und ihr alles Mögliche erzählt und gezeigt, und dann kam da nichts. Sie war nach ein paar Tagen noch einmal hier und hat Fragen gestellt. Mehr über meine Zeit hier in Kirchhagen. Wann ich das Haus geerbt habe, warum ich es nicht verkauft habe, warum ich nie geheiratet habe. Sie meinte, sie müsse den Artikel noch persönlicher gestalten, damit er die Leute berührt. Aber das war mir dann zu viel des Guten. Ich habe sie recht brüsk abgefertigt, das gebe ich zu.«
»Kennen Sie diesen Artikel hier?« Pia legte die Kopie des Zeitungsausschnittes auf den Tisch.
Henriette Mühlberg warf einen Blick darauf und nickte grimmig. »Genau danach hat die Olsen mich auch gefragt. Da hat uns damals so ein Fotohansel auf dem Schützenfest aufgelauert. Marion Burmeister, meine Wenigkeit und einer von Marions Verehrern, wenn ich mich recht erinnere.«
»Der Mann hat die Arme um Sie beide gelegt. Wer war das?«
»Ich erinnere mich nicht mehr. Betrunken war er, das weiß ich noch. Ich hasse es, wenn jemand nach Alkohol stinkt. KennenSie unsere gute Marion Burmeister? Sie war damals ein sehr hübsches Mädel, und die Kerle sind hinter ihr hergelaufen wie die Idioten. Unmöglich, sich an die Namen der Einzelnen zu erinnern. Das Foto ist auf dem Schützenfest gemacht worden, 1972. Ich weiß das Datum noch genau, weil es der Sommer war, als Tante Friedel gestorben ist und ich den Nachlass regeln musste. Ich hatte den Verdacht, die Olsen wolle mir eine romantische, aber unglückliche Liebesgeschichte andichten, für den menschlichen Touch in ihrem Porträt, aber für so einen Stuss wollte ich mich nicht hergeben. Ich bin nun mal keine romantische Person, und der Kerl auf dem Foto hat mich nicht die Bohne interessiert.«
»Wie könnte Lisanne Olsen an diesen Zeitungsausschnitt gekommen sein?«
»Durch mich zum Beispiel. Ich war so blöd, ihr meine Pressemappe zeitweise zu überlassen, in der ich sämtliche Artikel aufbewahre, die über mich und meine Arbeit erschienen sind. Dieses Bild vom Schützenfest muss auch dabei gewesen sein, obwohl es eigentlich nichts darin zu suchen hatte.«
»Was denken Sie? Warum ist Lisanne Olsens Artikel über Sie nicht erschienen? Weil Sie es nicht wollten, oder weil die Olsen es ohne menschlichen Touch nicht mehr interessant genug fand?«, hakte Pia nach.
»Ich habe ihr keine Steine in den Weg gelegt, was ihre Beschreibung meiner Arbeit als Ethnologin und Bewohnerin von Kirchhagen betraf. Ich wollte nur nicht über Liebesgeschichten palavern, die sich nicht zugetragen haben.« Henriette Mühlbergs Stimme klang genervt.
»Halten Sie es für möglich, dass Frau Olsen danach zu Frau Burmeister gegangen ist und sie ebenfalls zu dem alten Zeitungsartikel befragt hat? Vielleicht, um noch mehr darüber herauszufinden?«
»Das will ich ihr nicht geraten haben«, knurrte die Mühlberg. Dann lächelte sie grimmig. »Und Marion hätte ihr sowieso
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