Grablichter - Almstädt, E: Grablichter
Betroffenen konnten besonders reizbar werden oder sich aggressiv verhalten. Andere wirkten gefühlskalt, zogen sich zurück oder wurden suchtkrank und damit zu einer Gefahr für sich und ihre Umwelt. Ein menschliches Pulverfass. Pia hatte gehört, dass es Betroffene gab, die sich zur Krisenintervention ab und zu aus freien Stücken in die Psychiatrie einweisen und mit Medikamenten ruhigstellen ließen, wenn ihr mühsam aufrecht gehaltenes Gleichgewicht zu kippen begann. Wenn Frank Reuter unter einer posttraumatischen Belastungsstörung litt, konntensie das in ihren Ermittlungen nicht außer Acht lassen. Beim richtigen Auslöser konnte er überreagieren.
»Ich weiß, was Sie jetzt denken«, sagte Reuter mit kalter Stimme. »Dass ich die Olsen vielleicht umgebracht habe. Aus Eifersucht oder so? Schließlich bin ich nicht voll zurechnungsfähig. Das legen Sie sich doch gerade so zurecht, oder?«
»Der Mord an Lisanne Olsen war keine spontane Tat. Sie wurde genau geplant. Das passt nicht zu einer posttraumatischen Belastungsstörung, okay? Aber vielleicht haben Sie ja etwas beobachtet. Können Sie nachts schlafen?«
Frank Reuters Anspannung schien etwas nachzulassen. Einen kurzen Moment lang glomm so etwas wie ein Erkennen in seinen dunklen Augen auf. Schlaf war ein heikler Punkt. Sein Tonfall blieb aber weiterhin abweisend, fast aggressiv. »Was meinen Sie denn? Ich schlafe in der Morgenzeit, zwischen halb fünf und halb acht. Mein Schlafzimmer liegt direkt zur Hauptstraße raus. Wenn ich höre, dass die ersten Pendler zur Arbeit fahren, dann weiß ich, dass ein neuer Tag begonnen hat. Das beruhigt mich irgendwie, und ich dämmere noch ein paar Stunden vor mich hin. Ich war also nicht im Wald, als Lisanne ermordet worden ist. Ich wollte, ich wäre da gewesen, dann hätte ich … Ach, egal!« Er stand polternd auf und ging zum Fenster. Vorsichtig schob er die vergilbten Gardinen auseinander und warf einen Blick hinaus.
»Kannten Sie Lisanne Olsen gut?«
»Ja, früher mal. Das war, als ich noch okay war. Wir sind ein paar Mal zusammen unterwegs gewesen. Sie war ’ne tolle Frau, etwas anstrengend vielleicht, aber sonst gut drauf.«
»Wie stehen Sie zu Jan Dettendorf?«
»Ich hab’ ihm Lisanne gegönnt, falls Sie das meinen. Passte doch auch zu gut, oder? Beide verrückt nach Pferden. Ich mache mir nichts aus Tieren. Habe alles, was vier Beine hat, verkauft,seit ich den Hof übernommen habe. Ein paar Katzen sind noch da, wegen der Mäuse. Aber wenn Lisanne mich gefragt hätte, dann hätte ich für ihren Zossen sogar den Pferdestall wieder auf Zack gebracht.« Er lachte freudlos, ging zum Tisch und wieder zurück zum Fenster, immer hin und her. Pia kam sich vor wie in einem Raubtierkäfig.
»Sie mochten sie also. Aber sie hat Jan Dettendorf vorgezogen, zumindest, seit sie aus dem Kosovo zurück sind.«
»Wir waren nie richtig zusammen, das hat mit meinem Einsatz im Kosovo nichts zu tun. Und umgebracht habe ich sie schon gar nicht. Ich renne doch nicht herum und murkse jede Frau ab, die nicht meinem Charme erliegt.« Zum ersten Mal seit Pias Eintreffen lächelte er. Es sah so aus, als wäre ein Sonnenstrahl durch das Fenster auf sein Gesicht gefallen.
»Wer waren die Männer, die Jan Dettendorf zusammengeschlagen haben?«
»Ich kannte sie nicht.«
»Keine Idee?«
»Nein.«
»Schade. Nicht, dass die eines Tages bei Ihnen vor der Tür stehen, um sich dafür zu rächen, dass Sie sie von ihrem Job abgehalten haben.«
»Die Bürschchen sollen nur kommen. Aber wieso sagen sie Job? Das waren doch nur Rowdys.« Zum ersten Mal während des Gesprächs hörte sich Reuter beunruhigt an.
»Es sieht mehr nach einem Auftrag aus. Das spricht dafür, dass Sie nichts mit der Sache zu tun haben. Ich nehme an, dass Sie es selbst in die Hand nehmen würden, wenn Sie eine Rechnung mit Dettendorf offen hätten. Aber vielleicht haben Sie eine Idee, wer der Auftraggeber war?«
Frank Reuter blieb stehen und sah sie durchdringend an. »Da fällt mir schon der eine oder andere ein. Aber eins sageich Ihnen: Wenn Sie mich später darauf festnageln wollen, dann leugne ich alles.«
Pia sagte nichts.
»Haben Sie schon mit Leo Körting gesprochen? Ich bin mit ihm zur Schule gegangen, und er war damals schon ein unangenehmer Zeitgenosse. Er glaubt, er muss sich wegen der geplanten Umgehungsstraße mächtig ins Zeug legen. Außerdem denkt er aus unerfindlichen Gründen, Jan Dettendorf würde ihn wegen der Straße irgendwie austricksen.
Weitere Kostenlose Bücher