Grablichter - Almstädt, E: Grablichter
abschließender Besuch in diesen Etablissements konnte nicht schaden. Pia wollte, wo sie nun schon einmal hier war, nichts unversucht lassen.
Ihre Erkundigungen im Erotic Art Museum in der Bernhard-Nocht-Straße verliefen ergebnislos. Niemand erinnerte sich an Lisanne Olsen oder Jan Dettendorf. Anschließend ging sie in die Erichstraße und fand Harrys Hafenbasar in einem Eckhaus. Es war ein Laden mit Kuriositäten aus aller Welt, die ursprünglich von Seeleuten an den Vater der jetzigen Besitzerin verkauft worden waren. Die Tochter führte das Geschäft weiter, und Pia traf sie gleich hinterm Tresen ihres Ladens an.
Pia fühlte die leeren Augen unzähliger geschnitzter Masken und Statuen auf sich ruhen, während sie sich vorstellte und das Foto von Lisanne Olsen aus ihrer Tasche zog. Es waren gerade keine Besucher im vorderen Teil des Ladens, sodass Pia kurz erläutern konnte, was es mit ihrem Besuch auf sich hatte.
Die Besitzerin des Ladens betrachtet das Foto von Lisanne Olsen, zog kurz die Stirn kraus und nickte dann. »Ich erinnere mich an die Frau. Sie war mit einem Mann hier, offenbar ihrem Freund. Sie sind erst einmal durch den Laden gegangen und haben sich alles angesehen, doch hinterher kam die Frau zu mir an den Tresen und hat mich in ein Gespräch verwickelt«, erzählte sie.
»Hat Frau Olsen gesagt, was sie hier wollte?«, fragte Pia, während sie einen wachsamen Blick auf die Vogelspinne warf, die auf dem Tresen in einem Terrarium saß und sich an einer überdimensionalen Küchenschabe gütlich tat.
»Das ist Pauli, vollkommen harmlos«, interpretierte die Besitzerin Pias Blick. »Der Biss einer Vogelspinne ist zwar giftig, aber nicht tödlich. Eher so wie zwei oder drei Wespenstiche … Diese Frau, nach der Sie fragen, die interessierte sich für meinen Schrumpfkopf. Sie wollte ihn anschauen. Ich konnte ihr aber nicht weiterhelfen, weil er zurzeit gar nicht hier ist. Er ist beschädigt und muss restauriert werden. Ich habe bisher kein Angebot für die Restaurierung bekommen, das akzeptabel ist.«
»Was passierte dann?«
»Ich habe der Frau stattdessen diese hier gezeigt. Warten Sie.«
Sie holte zwei Plastiktüten aus einem der hinteren Regale und nahm zwei Gegenstände in der Größe von Tennisbällen heraus. Vorsichtig wickelte sie sie aus der Verpackung und legte sie vor Pia auf den Tresen.
Pia hielt unbewusst die Luft an: Es waren zwei Köpfe, faustgroß, einer dunkel, einer etwas heller. Sie betrachtete sie neugierig. »Die sind nicht echt?«
»Richtig. Sie sind aus Ziegenhaut gemacht. Der eine ist leicht als Fälschung zu erkennen, der andere sieht ziemlich echt aus, nicht wahr?«
Fasziniert betrachtet Pia den Kopf mit der dunkel gefärbten Haut. Er hatte einen Schopf grauschwarzer Haare und zugenähte Augen und Lippen.
»Hat Frau Olsen gesagt, weshalb sie sich dafür interessiert?«
»Sie wollte wissen, wie sie echte von unechten unterscheiden kann. Sehen Sie hier, ein wichtiges Merkmal sind die Augenbrauen. Bei der Nachbildung gibt es nur eine Wuchsrichtung der Haare über beiden Augen, während sie beim Menschen immer von der Nasenwurzel nach außen geht. Das ist mit einer Tierhaut schlecht nachzumachen. Außerdem sieht man bei einem echten Schrumpfkopf die Gesichtsbehaarung viel deutlicher, weil sich die Haare nach dem Schrumpfungsprozess auf einer kleineren Fläche befinden. Dadurch sieht ein echter Kopf ein wenig wie ein Affenkopf aus. Die Ziegenhaut wird dagegen rasiert, dadurch weist der unechte Kopf nicht die typische Gesichtsbehaarung auf. Und dann kann man den Unterschied auch am Ohr gut sehen. Das ist sehr schwer nachzubilden. Beim echten Schrumpfkopf sieht das Ohr noch recht natürlich aus, während es hier nur als Ausbuchtung geformt ist.«
Pia starrte den dunklen kleinen Kopf mit den zugenähten Lippen an, registrierte all die Merkmale, die darauf hinwiesen, dass sie es nicht mit einem echten Menschenkopf zu tun hatte. Warum hatte sich Lisanne Olsen dafür interessiert? War es nicht eigentlich ein netter Ausflug mit ihrem Freund Jan Dettendorf nach Hamburg gewesen? Erst Kaffee trinken an derAlster und erotische Kunst, und nun das hier? Andererseits konnten sich bestimmt nur wenige Menschen der morbiden Faszination von Schrumpfköpfen und ähnlichen Grausamkeiten entziehen. Es musste gar nichts bedeuten.
Pia bedankte sich bei der Besitzerin des Ladens für die Information und ging nach draußen. Obwohl sie mitten in der Stadt war, roch die Luft hier frischer, ein wenig
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