Grablichter - Almstädt, E: Grablichter
Ihnen reden. Ansonsten werde ich die Kollegen von der Verkehrspolizei verständigen, wenn Sie so Ihren Hof verlassen. Ein Anruf genügt.«
Wenn Blicke töten könnten, dachte Pia, aber nach ein paar Sekunden stellte er den Motor dann doch ab. Pia wusste, dass das, was sie soeben hier abgezogen hatte, unfair war, aber veralbern lassen wollte sie sich von diesem Reuter nicht. Er beugte sich ein Stück zu ihr hinunter. »Also schön. Worum geht es? Ein paar Minuten mehr oder weniger spielen jetzt auch keine Rolle mehr.«
»Ich schlage vor, wir gehen zusammen in Ihr Haus, setzen uns an einen Tisch, und Sie erzählen mir, was ich wissen will. Mit etwas Glück habe ich Ihren Anhänger dann nie zu Gesicht bekommen.«
Er murmelte etwas Unfreundliches in sich hinein, schob dann aber die Kabinentür auf und sprang hinunter. Als er neben ihr stand, war er einen halben Kopf kleiner als sie.
Sein Gesicht sah eigentümlich schief aus, eine helle Narbe teilte seine rechte Augenbraue. Seine Augen glänzten hart wie nasses Schiefergestein. Er stapfte ihr voraus auf das Haus zu, riss die Haustür auf und ging hinein, ohne sich noch einmal nach ihr umzusehen. Pia folgte ihm durch einen engen Flur in die Küche. Sie ignorierte das Chaos aus benutztem Geschirr, herumliegenden Zeitungen und einem überquellenden Mülleimer und setzte sich zu ihm an den schmalen Küchentisch.
»Kaffee?«, fragte Reuter, ohne sie dabei anzusehen.
»Nein, danke. Kommen wir lieber gleich zur Sache. Erzählen Sie mir, was Sie am Samstagabend gemacht haben.«
»Hat Jan doch noch Anzeige erstattet? Ich dachte, er erspart sich das.«
»Keine Anzeige, Herr Reuter, aber seine Blessuren waren einfach nicht zu übersehen. Was ist passiert?«
»Ich war noch in meiner Werkstatt am Samstag, es war ziemlich spät geworden. Als ich zum Haus rüberging, sah ich Jan Dettendorf vorbeigehen. Ich dachte mir, dass er bei Heinrich war, denn viel mehr gibt es nicht in der Richtung, aus der er kam. Erst wollte ich ihn rufen, aber dann entschied ich mich dafür, erst ins Haus zu gehen um … na ja, um zu pinkeln, wenn Sie es ganz genau wissen wollen. Dann bin ich ihm hinterher, weil ich noch mit ihm reden wollte.«
»Wie spät war es da?«
»Kurz nach elf. Ich arbeite den ganzen Tag lang allein vor mich hin, das Wochenende eingeschlossen. Da muss man doch auch mal mit einem Menschen reden dürfen. Der Jan ist in Ordnung, also dachte ich, ich geh’ ihm nach und schau mal, ob er noch Lust auf ein Bier und einen Klönschnack hat.«
»Was geschah dann?«
»Müssen wir das alles durchkauen? Er hatte einen ziemlich großen Vorsprung. Als ich fast am Ende der Pfarrstraße angekommen war, sah ich diese Prügelei. Ich dachte erst, das ist ein Witz. Hier bei uns im Dorf erwartet man so was einfach nicht. Aber es war wohl ernst gemeint. Ich bin hin und habe die Typen ein bisschen aufgemischt. Sie haben schnell das Weite gesucht. Dann hab’ ich Jan nach Hause gebracht und verarztet. Das war’s.«
»Das klingt, als hätten Sie ein paar lästige Fliegen verscheucht. Die Angreifer waren zu viert. Wie kommt es, dass Sie sie aufmischen konnten?«
Er sah auf seine Hände hinunter, die reglos auf der Tischplatte lagen. Pia bemerkte, dass an Mittel- und Ringfinger seinerrechten Hand je ein Fingerglied fehlte. Es waren kurze, kräftige Hände, rau und mit dunklen Rändern unter den Nägeln. Frank Reuter räusperte sich. »Ich war Berufssoldat. Zwei Jahre Kosovo … Da werde ich es ja wohl mit ein paar Halbstarken aufnehmen können.«
»Warum haben Sie bei der Bundeswehr aufgehört?« Pia beobachtete, wie es in seinem Gesicht zuckte, seine dichten Brauen zogen sich über seinen Augen zu einer fast durchgehenden Linie zusammen.
»Es war einfach Zeit, aufzuhören. Was ich da unten gesehen habe, das reicht für mehrere Leben.« Der Satz klang einstudiert. Reuter wollte nicht darüber reden.
»Bekommen Sie Hilfe?«
Er sah sie überrascht an. »Das ist nicht die Reaktion, die ich normalerweise kriege, wenn ich das erzähle. Ja, ich bin im Bundeswehrkrankenhaus in Behandlung. Posttraumatische Belastungsstörung ist der Fachbegriff für das, was ich habe. Die wollen die blockierten Verarbeitungsprozesse zwischen meinen beiden Gehirnhälften wieder in Gang setzen.« Aus seinem Mund klang es wie ein technisches Verfahren, um einen festgefahrenen Motor wieder zum Laufen zu bringen.
Pia nickte. Sie wusste, dass auch Polizisten unter solchen posttraumatischen Belastungsstörungen litten. Die
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