Grabstein - Mùbei: Die große chinesische Hungerkatastrophe 1958-1962 (German Edition)
verkleinern.« [9]
Wenn die Bauern das »überschüssige Getreide« verkauft hatten, blieb ihnen kaum noch etwas für sich selbst, einer der Gründe für den Hungertod von so vielen Bauern.
Parallel zur Verstaatlichung der Wirtschaft in den Städten wurde die Wirtschaft in den ländlichen Gebieten kollektiviert. Die Kollektivierung der Landwirtschaft kam einer Ausplünderung der Bauern gleich. Das Verbot von Privatbesitz und persönlichem Profit bildete die wirtschaftliche Grundlage für das totalitäre System. Die Kollektivierung der Landwirtschaft brachte die Produktionsmittel in die Hände des Kollektivs; die Bauern und die Kader der Produktionsbrigaden hatten nicht das Recht zu entscheiden, was auf welchen Flächen und auf welche Weise angepflanzt wurde. Die Kollektivierung ließ den Bauern zunächst ein kleines Fleckchen eigenes Land, gerade groß genug, um eine Familie mit Gemüse zu versorgen, ein Fleckchen Land allerdings, das 1958 ebenfalls zum Kollektiv zurückkehrte. Jeden Morgen versammelten sich die Bauern am Dorfeingang, wo sie auf den Leiter der Produktionsbrigade warteten, der die Arbeit einteilte, und haben dann unter Führung eines Arbeitsgruppenleiters kollektiv ihre Arbeit gemacht.
Alles, was in den ländlichen Gebieten produziert wurde, wie Getreide, Baumwolle, Ölfrüchte, wurde vom Staat auf- und weiterverkauft. Was die Menschen in Stadt und Land brauchten, wurde ihnen über staatliche Bezugsscheine geliefert. Diese Bezugsscheine bekam man nur dort, wo man wohnte. Das Einwohnermeldesystem war so straff, dass man für ein kurzfristiges Verlassen des Wohnorts eine Genehmigung der jeweiligen Behörde brauchte. Bauern durften und konnten außerhalb der Landwirtschaft nicht arbeiten. Wenn ein Bauer sein Dorf verlassen wollte, musste er sich vom Leiter der Produktionsbrigade beurlauben lassen. Auf diese Weise lebten und arbeiteten die Bauern in einem Hochsicherheitstrakt der politischen Macht. Für ihre Lebensmittel sorgten die unter der strengen Kontrolle des Staates stehenden Kollektive (die Volkskommunen). Wenn in der Politik Fehler gemacht wurden, konnten sich die Bauern, wenn es zum Äußersten kam, nicht mehr selbst helfen, ihnen waren die Hände gebunden, sie konnten nur auf den Tod warten.
Die Volkskommunen waren eine Entwicklung des Kollektivsystems der Landwirtschaft und ein weiterer Schritt in der Entwicklung des totalitären Systems. Dabei wurde kein Unterschied mehr zwischen Verwaltung und Unternehmen gemacht, sämtliche wirtschaftlichen Aktivitäten wurden zudem für politische Zielsetzungen vereinnahmt, sämtliche Vermögen kamen unter die Kontrolle von Regierungsbeamten, und Regierungsorganisationen traten an die Stelle von Familie, Religion und allen anderen gesellschaftlichen Organisationen.
1958 kamen militärische Organisationen eine Zeitlang bei allen möglichen »Offensiven« zum Einsatz, wie der »Stahloffensive«, der »Wasserwirtschaftsoffensive« und der »Landwirtschaftsoffensive«. Und durch Gemeinschaftsküchen, Kindergärten und so weiter wurde die Funktion der Familie als Wirtschaftseinheit einen weiteren Schritt zerstört, so dass die Familien die Fähigkeit verloren, aus eigener Kraft für sich zu sorgen.
Das System der Gemeinschaftsküchen war ein weiterer wichtiger Grund für die massenhaften Hungertoten. Die Herde in den Bauernfamilien wurden abgebrochen, Töpfe, Schüsseln, Schälchen, Lampen, Tische, Stühle und Bänke wurden von den Gemeinschaftsküchen beschlagnahmt. Getreide und Feuerholz wurden in den Kantinen gesammelt, Vieh und Geflügel ebenfalls von den Kantinen gehalten. Was die Mitglieder des Kollektivs an wildem Gemüse ausgruben, war bei den Gemeinschaftsküchen abzuliefern. Mancherorts hatten nur noch die Gemeinschaftsküchen die Erlaubnis zu feuern; aus den Schornsteinen privater Haushalte durfte kein Rauch kommen.
Das erste Unheil, das die Gemeinschaftsküchen anrichteten, war die Vergeudung von Getreide. In den ersten gut zwei Monaten, in denen die Kantinen geöffnet hatten, ließ man es überall zu großen Fress- und Saufgelagen kommen. Jeder konnte so viel essen und trinken, wie er wollte, unabhängig davon, ob er gut oder schlecht gearbeitet hatte. Damals war die Besorgnis von Mao Zedong und anderen Führungsleuten, »was man machen soll, wenn zu viel Getreide da ist«, längst bis zur Basis durchgedrungen. Die Bauern dachten, der Staat habe sehr viel Getreide und wenn das eigene verputzt sei, werde der Staat schon nachliefern. In
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