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Grabstein - Mùbei: Die große chinesische Hungerkatastrophe 1958-1962 (German Edition)

Grabstein - Mùbei: Die große chinesische Hungerkatastrophe 1958-1962 (German Edition)

Titel: Grabstein - Mùbei: Die große chinesische Hungerkatastrophe 1958-1962 (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Yang Jisheng
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manchen Volkskommunen waren Ende 1958 sämtliche Getreidevorräte verbraucht, aber zuletzt konnte man auf staatliche Lieferungen nicht mehr warten.
    Die Gemeinschaftsküchen legten auch die Basis für die Privilegien der Kader. Es war ein weitverbreitetes Phänomen, dass korrupte und verkommene Kader alles an sich rissen und verfraßen. Die Gemeinschaftsküchen führten die »Diktatur des Proletariats« bis in den Bauch jedes Einzelnen, wer nicht gehorchte, bekam nichts zu essen. Die Gemeinschaftsküchen haben den Bauern praktisch den Reislöffel aus der Hand genommen und ihn den Führungsleuten gegeben. Mit dem Verlust des Reislöffels verloren die Bauern auch das Existenzrecht.
    Unter den Millionen unschuldiger Opfer ist ein Teil von Basiskadern totgeschlagen oder in den Tod getrieben worden. Bauern, die ihren Widerwillen gegen Volkskommunen, die Kampagne »gegen die Verheimlichung und private Abzweigung von Getreideerträgen« und die Gemeinschaftsküchen zeigten, Bauern, die aus Hunger die Setzlinge der Kommune stahlen, Bauern, die vor Hunger keine Kraft mehr hatten, an den Wasserbaustellen zu arbeiten, konnten mit grausamen Strafen rechnen.
    Für die Bauern gab es ein paar Dutzend verschiedener Strafen wie Auspeitschen, Strafknien, den Pranger, Herabsetzung der Reisration, Einfrieren, der prallen Sonne Aussetzen, Ohren Abschneiden und das berüchtigte »Erbsenbraten«, eine Art Spießrutenlauf, bei dem der Betroffene wie die Erbsen beim Braten im Wok hin und her gestoßen und geschlagen wird. Ein unerträglich grausamer Anblick.
    In den ländlichen Gebieten war die sogenannte Diktatur des Proletariats in Wahrheit eine Diktatur der Kader. Wer ein hohes Amt hatte, der konnte mit seinen Untertanen und Untergebenen machen, was er wollte. In den einzelnen, den jeweiligen Provinzen gewidmeten Kapiteln dieses Buches ist eine große Anzahl von solchen Verbrechen festgehalten (wobei es nicht in jeder Produktionsbrigade zu so grausamen Vorfällen kam).
    In vergleichbarer Situation, also bei einer entsprechend schlimmen Hungersnot, bekommt man entweder Hilfe von außen oder man flieht die Gegend, in der Hunger herrscht. Aber die Verwaltung tat auf allen Ebenen ihr Möglichstes, um Nachrichten über den Hunger nicht nach draußen dringen zu lassen. Die Ämter für Öffentliche Sicherheit kontrollierten sämtliche Postämter, alle Briefe, die nach draußen geschickt wurden, wurden zurückgehalten. Um zu verhindern, dass durch Hungerflüchtlinge etwas durchsickerte, wurden die Menschen in den Dörfern eingesperrt, sie durften nicht weg. Die Hungernden, die schon geflüchtet waren, stellte man unter der Anklage der »Landstreicherei« an den Pranger, peitschte sie aus oder strafte sie auf andere Weise.
    Menschen, die gegen das System rebellieren, sind immer die Ausnahme, die Mehrheit gehorcht, und die Systemgegner werden nicht selten vom System in Stücke gerissen. Angesichts eines fest etablierten politischen Systems ist die Kraft des Einzelnen verschwindend gering. Das System ist eine »Gussform«, ein »Model«, in dem die jeweiligen Muster gegossen werden. Da kann das Metall noch so hart sein, wenn man es zum Schmelzen bringt und in diese Formen gießt, ist das Resultat immer das gleiche. Was für Menschen man auch in diese Formen presst, herauskommen wird immer ein am Rücken zusammengewachsener siamesischer Zwilling aus Herrscher und Sklave – Herrscher nach unten, Sklave nach oben.
    Mao Zedong war der erste, der eine solche Form geschaffen hat (streng genommen hat er die Gussform der Tyrannei geerbt und weiterentwickelt), und auch er selbst ist in dieser Form geprägt worden. Im Rahmen des Systems waren die Handlungen Mao Zedongs selbstbewusst und hilflos zugleich.
    Totalitäre Systeme sind die rückständigsten, barbarischsten und unmenschlichsten Gesellschaftssysteme, die es derzeit auf der Welt gibt. Dass während der drei Hungerjahre Millionen von Menschen ihr Leben lassen mussten, hat diesem System die Totenglocke geläutet. Die folgenden »Vier Säuberungen« und die Kulturrevolution konnten es nicht retten, seine Krankheit war nicht mehr aufzuhalten.
    Nach über zwanzig Jahren mit Reformen des Wirtschaftssystems hat das totalitäre System sich in vielen Bereichen gelockert, die Volkskommunen sind längst aufgelöst, die staatliche Auf- und Verkaufspolitik ist abgeschafft, die einfachen Menschen können auf dem Markt eine Lebensgrundlage aufbauen und sich entwickeln, die chinesische Gesellschaft hat gewaltige

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