Grabstein - Mùbei: Die große chinesische Hungerkatastrophe 1958-1962 (German Edition)
Bauernschaft war bis auf die Knochen abgemagert, sie sahen aus wie Holzscheite, die Leute wankten durch die Straßen, selbst junge Menschen mussten sich auf einen Stock stützen, an Arbeit auf den Feldern war nicht zu denken; wenn sie von den Kadern mit Knüppeln auf die Felder getrieben wurden, haben die Bauern notgedrungen an den Rändern der Felder Setzlinge in die Erde gebracht, aber in der Mitte der Felder wuchs Hühnerhirse. [315]
Um den Bauern das Getreide abzupressen, haben die Dorfkader zu allen möglichen Mitteln gegriffen. Im November 1960 heißt es in einem Untersuchungsbericht des Kreiskomitees: »Eine Minderheit der Kader unterzieht die Massen willkürlich körperlichen Strafen wie Fesseln, an den Fesseln Aufhängen und Auspeitschen, Entzug des Gemeinschaftsessens, Strafknien, Straffrieren und Strafstehen in der Sonne. Einige haben Privatgefängnisse und kleine Umerziehungslager eingerichtet. Den Bauern werden mancherorts mit Steinen die Finger zertrümmert, ihnen werden Nägel in die Hände getrieben, man schneidet ihnen die Ohren ab, verbrennt ihnen mit brennenden Knüppeln die Nasen, näht ihnen den Mund zu und dergleichen haarsträubende Strafen.« [316] Ein anderer Bericht weiß zu erzählen, in einer Volkskommune seien 14 Personen krankenhausreif geschlagen worden, fünf seien gestorben, eine sei zum Selbstmord gezwungen worden. [317]
Wenn man sich das meteorologische Material über den Kreis Wuwei in den Jahren 1957 bis 1961 ansieht, so war das Wetter im Grunde ideal – und unter solch günstigen Bedingungen sind 300000 Menschen verhungert! [318] Wenn jemand von der Familie starb, wagte man das nicht zu berichten, man ließ die Toten auf ihren Betten liegen und verhüllte sie sorgfältig mit Decken. Wer von der Familie noch lebte, brachte aus den Kantinen für den jeweiligen Toten einen schwappenden Brei oder Nahrungsersatzmittel, um den anderen das Überleben zu sichern. Aber wenn man den Toten lange liegen ließ, erregte das das Misstrauen der Kader, die dann vor der Tür standen und nachsehen wollten und dann natürlich die Wahrheit erfuhren. In manchen Gebieten kam es zu Kannibalismus. [319]
2003 hat Xie Guiping die damals 60-jährige Su Xiufang interviewt. Su erinnerte sich: Damals hat sie in dem Dorf Sulaocun gewohnt, von Sulaocun waren es noch drei, vier chinesische Meilen bis zum Berg Kun. Jeden Tag hat man ein gutes Dutzend von Leichen gesehen, die niemand unter die Erde gebracht hat; deren Angehörige waren entweder alle verhungert oder sie hatten keine Kraft mehr, den Leichnam ihrer Lieben unter die Erde zu bringen. Sie erzählte, ihr Dorf habe einmal 570 Einwohner gehabt, später dann seien etwa 200 übrig geblieben, die anderen seien verhungert oder abgewandert, viele Familien seien einfach ganz ausgestorben.
Bei Su Xiufang wohnten 78 Personen in einem Haus (einschließlich der ganzen Sippe ihres Urgroßvaters), 53 von ihnen sind verhungert oder zu Tode gepeinigt worden. Als ihre Mutter starb, war ihr kleiner Bruder erst zwei Jahre alt, kuschelte sich an ihren Leichnam und schrie nach der Brust; um einen Löffel mehr von dem Brei zu ergattern, war sie gezwungen, die Leiche in eine Baumwolldecke zu packen, damit niemand erfuhr, dass ihre Mutter tot war; die Kelle mehr von der dünnen wässrigen Reisbrühe hat ihren beiden kleinen Geschwistern das Leben verlängert. Nach dem Tod ihrer Cousine hat ihr Onkel die Leiche auf den Berg hinter dem Dorf geschafft, ihr das Fleisch von den Knochen geschnitten, es gekocht, gebraten und verzehrt; die Knochen hat er nur mit Gras abgedeckt. Viele Mitbewohner von Sulaocun haben diese Szene mitbekommen.
Xie Kewen, der damals zuständig war für das Nahrungsmittelamt des Kreises, sagte zu Xie Guiping, in der Kreisstadt Wuwei habe es einen kleinen Straßenhändler gegeben, der das Geld, das er verdiente, in Lebensmittel umsetzte, diese dann für den Eigenbedarf in seinem kleinen Stand versteckte und seiner Frau und seinem Sohn nie etwas abgab. Und immer, wenn seine Frau etwas zu essen von ihm verlangte, hat er sie übel zugerichtet und ihr gedroht, sie und den Jungen umzubringen. Als seine Frau kurz vor dem Hungertod stand, hat sie, als ihr Mann ein gemütliches Nickerchen machte, die Gelegenheit genutzt und ihn mit Hilfe ihres Jungen mit einem Seil erdrosselt – nur, um an etwas zu essen zu kommen.
Nach Schilderungen der Bewohner des Ortes Neues China haben sie eines Tages eine alte Frau aus ihrem Dorf Fleisch essen
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