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Grabstein - Mùbei: Die große chinesische Hungerkatastrophe 1958-1962 (German Edition)

Grabstein - Mùbei: Die große chinesische Hungerkatastrophe 1958-1962 (German Edition)

Titel: Grabstein - Mùbei: Die große chinesische Hungerkatastrophe 1958-1962 (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Yang Jisheng
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im Auffanglager von Chengguan über 300 Menschen sterben sehen, jeden Tag seien zwischen drei und zehn Leichen aus dem Lager geschafft worden; manche hätten noch geatmet, die habe man trotzdem einfach hinausgetragen und irgendwohin geworfen.
    Lou Jiaxu von der Volkskommune Chengguan erzählte, im Winter 1959 habe man am Tag, bevor die Untersuchungskommission des Provinzkomitees kommen sollte, aus Angst, im Auffanglager könnten sie entdeckt werden, die Leichen von 97 Personen weggeschafft. [53]  
    Dass die regionalen Beamten es wagten, ihre Bauern auf ihren Höfen festzuhalten und verhungern zu lassen, lag an einem Dokument des Zentralkomitees der KP Chinas. Im März 1959 hatten Zentralkomitee und Staatsrat eine »Dringliche Mitteilung zur Unterbindung blinden Abwanderns von ländlichen Arbeitskräften« herausgegeben. Sämtliche Bauern, die ohne offizielle Genehmigung »blind« in die Städte »abwanderten«, waren »Herumtreiber«. Das Dokument wies sämtliche Provinzen und Städte an, alle »blind« in Städte und Bergbaugebiete »abwandernden« Bauern abzufangen und rückzuführen. Und die regionalen Beamten, die nichts so fürchteten wie das Durchsickern von Nachrichten über die Hungersnot, stützten sich auf dieses Dokument und verboten natürlich mit noch mehr Berechtigung und in aller Öffentlichkeit der hungernden Bevölkerung dieses »Herumvagabundieren« und handhabten diesen Vorwand willkürlich.
    Um die Wahrheit zu verschleiern, schreckten sie nicht davor zurück, Personen, die die Situation nach draußen berichteten, zu attackieren. Vor August 1960 gab es im Kreis Xi 58 Briefe, in denen davon berichtet wurde, dass die Menschen nichts mehr zu essen hätten, sechs davon wurden als anonyme »reaktionäre Schriften« dem Amt für Öffentliche Ordnung übergeben, einer dieser anonymen Briefe war an die Generalstaatsanwaltschaft gerichtet, durch einen Schriftvergleich wurde Zheng Lianbang, ein Kader einer Bank in Ru’nan, dingfest gemacht und sofort verhaftet.
    Am 12. März 1960 hat Wang Qiyun, ein Kader des Gesundheitsamtes, einen Brief an das Zentralkomitee (ZK) der Partei geschrieben, in dem er das gravierende Problem der Hungertoten beschrieb und vom ZK verlangte, es Richter Bao Zheng nachzumachen und die Getreidespeicher zu öffnen; [10]   nach einer Untersuchung durch das Amt für Öffentliche Sicherheit wurde Wang Qiyun einer brutalen Kampfkritik unterzogen. [54]  
    Li Ruiying, die Vorsitzende des regionalen Frauenverbandes von Xinyang (die Frau des Kommissars Zhang Shubo), sah in Xiping die Hungertoten mit eigenen Augen und hörte zudem, wie mit den Leichen der Toten umgegangen wurde. Sie dachte daran, ihrem alten Kampfgefährten Li Xuefeng, der im Nordosten auf einem Amt arbeitete, die Situation zu schildern. Um nicht aufzufallen, schrieb sie zunächst einen kurzen Brief an dessen Frau Di Ying: »Seid ihr zu Hause? Wenn ihr da seid, schreibt bitte schnellstens zurück, ich habe euch etwas Wichtiges mitzuteilen.« Dieser Brief kam tags darauf zurück. [55]  
    Li Xuefeng war der erste Sekretär des Zentralkomitees der KPCh in Dongbei und gleichzeitig Politkommissar des Militärbezirks Beijing – Kader, die solch hohe Posten bekleideten, hatten nicht das Recht auf freie Korrespondenz, was ein bezeichnendes Licht auf die Strenge des totalitären Systems wirft.
    Das Postamt von Guangshan entdeckte einen nach Dongbei adressierten, aber ansonsten anonymen Brief, in dem die Hungerkatastrophe in Guangshan geschildert wurde, und das Amt für Öffentliche Sicherheit machte sich auf die Suche nach dem Absender. Der Schalterbeamte des Postamts erinnerte sich, dass eine Frau den Brief abgesandt hatte und dass sie ein pockennarbiges Gesicht hatte, woraufhin das Amt für Öffentliche Ordnung im ganzen Kreis alle Frauen mit Pockennarben vorlud, festnahm und eine nach der anderen untersuchte – doch ohne Resultat. Erst später erfuhr man, dass die Absenderin eine Frau sein sollte, die in Zhengzhou arbeitete und diesen Brief nach einem Verwandtschaftsbesuch in Guangshan, bei dem sie die vielen Hungertoten gesehen hatte, geschrieben hatte. [56]  
    Als ich 1999 im Rahmen meiner Recherchen nach Henan kam, erzählten ein paar alte Leute die Geschichte vom Schmied Zhang, der sich unter Lebensgefahr an die Obrigkeit gewandt hatte. Erst später im Archiv habe ich die näheren Umstände dieses Vorgangs erfahren. Zhang, der Schmied, das war Zhang Fu, der stellvertretende Büroleiter der Zivilverwaltung der

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