Grabstein - Mùbei: Die große chinesische Hungerkatastrophe 1958-1962 (German Edition)
»Vorreiterrolle« zu bewahren. Aus diesem Grund gab es immer mehr Tote, in allen untergeordneten Kreisen und Überschwemmungsgebieten kam es wegen Hunger und Krankheiten zu immer mehr Toten. Außer in Xinyang ist auch in den beiden Gebieten Nanyang und Xuchang eine große Zahl von Menschen verhungert. Im Kreis Xichuang im Gebiet von Nanyang hat sich die Bevölkerung innerhalb von zwei Jahren um ein Fünftel verringert, eine Rate, die nicht unter der von Xinyang lag.
Bi Kedan aus dem Kreis Tanghe im Gebiet Nanyang war im Herbst 1958 ebenfalls ein Aktivist des Großen Sprungs nach vorne. Im selben Zeitraum 1958 wurden in diesem Gebiet 4617 Schmelzöfen errichtet, in die man landwirtschaftliche Gerätschaften der Bauern wie Sicheln und Schaufeln hineinwarf und einschmolz. Die Henan ribao brachte mehrfach Artikel, in denen von den »Satelliten« berichtet wurde, die der Kreis Tanghe mit immer neuen Rekordernten abgeschossen habe. Und da die Erträge so hoch waren, waren auch die Ankaufquoten sehr hoch; die Getreideerträge von Tanghe wurden zu einem Großteil in andere Gebiete geschafft. Im Frühjahr 1960 gingen die Hungertoten unter den Bauern in die Zehntausende. Da kam Bi Kedan zu sich, insgesamt fünf Mal hat er in Schreiben einen Rückverkauf seines Getreides verlangt, was aber jedes Mal abgelehnt wurde. Da er nicht aktiv an der Kampagne »gegen die Verheimlichung der Erträge« im Kreis Tanghe teilnahm, wurde er tagtäglich namentlich kritisiert. Anschließend schickten das Provinz- und Gebietskomitee Arbeitsgruppen nach Tanghe, um die »Zusatzschulungen in demokratischer Revolution« durchzuführen. Die Arbeitsgruppen waren der Ansicht, dass die Teams im Kreis »vollkommen verrottet« seien. Bi Kedan wurde für eine Selbstprüfung seiner Ämter enthoben und kritisiert. Zur gleichen Zeit nahm das Gebietskomitee in den Kreisen Xichuan, Deng und Xinye vier wichtige Führungskräfte fest und meldete der Provinz ihre bevorstehende Hinrichtung – obwohl das am Ende nicht genehmigt wurde, so standen doch die wichtigen Führungspersönlichkeiten in den Kreisen von Nanyang vollkommen unter Schock.
Am 21. November berief das Kreiskomitee von Tanghe eine Enthüllungsversammlung ein, Bi Kedan stand selbstbewusst in der Eingangstür zum Veranstaltungssaal und schüttelte jedem Teilnehmer persönlich die Hand. Seine Kollegen dachten damals, Sekretär Bi bereite sich auf seine Zeit im Gefängnis vor und wolle sich verabschieden.
Am 22. November 1960 in aller Frühe sprangen Bi Kedan und seine Frau Liu Guixiang mit ihren vier Kindern nacheinander in einen Brunnen. Man versuchte sie zu retten, aber nur Liu Guixiang und ihr Sohn überlebten, Bi Kedan und die drei Mädchen waren tot.
Während der Hungersnot kam es überall zu Kannibalismus. In Chenyi, Xiayi, Yucheng, Yongcheng und, wie die Kreise alle hießen, kam es zu über zwanzig Fällen von Kannibalismus. Wang Yuwuo, 18 Jahre alt, eine arme Bäuerin vom Pangwang-Hof, hat ihren im Nachbarhof wohnenden fünf Jahre alten Vetter Wang Huailang ertränkt und dann gekocht. Huailangs eigene Schwester Xiaopeng, sie war damals 14, hatte der Hunger so weit gebracht, dass auch sie dem Fleisch des kleinen Bruders nicht widerstehen konnte. [97]
Die hungernden Bauern kochten nachts heimlich wildes Gemüse, um ihren Hunger zu stillen, in vielen Haushalten gab es nicht einmal mehr Töpfe, sie waren längst zerschlagen und eingeschmolzen worden. Wer mit heimlichen Vorräten und beim heimlichen Essen erwischt wurde, wurde von den Gemeindekadern verhaftet, einer Kritik unterzogen, irgendwo aufgehängt und ausgepeitscht. Neben den Hungertoten waren die Erschlagenen auch keine Minderheit.
Wie viele Menschen sind am Ende während der Hungerjahre in Henan gestorben? Das ist bis heute ein Geheimnis. In der Kulturrevolution wurde Wu Zhipu von den Massen kritisiert. Damals hieß es, es seien drei Millionen ums Leben gekommen. Am Ende des 20. Jahrhunderts gab es auch Schätzungen, die für Henan von fünf Millionen Toten sprachen. Diese Darstellungen sind nicht stichhaltig bewiesen.
Wir können heute anhand der vom »Statistischen Jahrbuch Henan« gelieferten Bevölkerungszahlen eine grobe Rechnung anstellen.
Tab. 1.1
Natürliche Bevölkerungsschwankungen 1955 – 1966
Jahr
durchschnittliche Bevölkerungszahl (in 10000)
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