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Graciana - Das Rätsel der Perle

Graciana - Das Rätsel der Perle

Titel: Graciana - Das Rätsel der Perle Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Marie Cordonnier
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erste Ritter, den sie aus solcher Nähe zu sehen bekam, und sie fand, dass kein großer Unterschied zu den Söldnern, die Sainte Anne d’Auray zerstört hatten, zu erkennen war.
    Er wirkte ebenso hünenhaft und bedrohlich wie diese Männer, auch wenn das Wams, das er trug, aus dickem Samt zu sein schien und die kniehohen Stiefel aus weichem Leder. Ob er die schwere goldene Gliederkette, welche dieses Wams schmückte, erbeutet hatte? Ihr Blick wanderte über das Juwel hinauf zu seinem Gesicht und den dunklen Augen, die sie finster betrachteten.
    Eine verkrustete Schramme zog sich quer über seine linke Wange und ließ seine kantigen Züge irgendwie gefährlich wirken. Schmal aufeinander gepresste Lippen, eine lange, gerade Nase und dunkle Brauen sorgten für einen finsteren und strengen Eindruck. So, als überlege er, wie er sich ihrer am besten entledigen konnte.
    Kérven des Iles hingegen starrte in ihre Augen, als habe ihm ein unsichtbarer Feind die Faust in den Magen gerammt. Noch nie hatte er solche Augensterne gesehen. Groß, klar und von reinstem Gold. Vom dunklen Gold eines Sonnenunterganges, aber auch vom gefährlichen Gelb eines gereizten Löwen. Eine flüchtige Erinnerung machte sich in seinem Kopf bemerkbar, aber er vertrieb sie wie eine lästige Fliege. Solche Augen gab es kein zweites Mal! Gütiger Himmel, welch ein Mädchen!
    »Du bist wach«, wiederholte er fasziniert.
    Graciana fühlte sich ganz eigenartig unter diesem intensiven Blick. Bedroht, ohne dass sie sagen konnte, weshalb. Von einem Sog gefangen, der sie davonzutreiben drohte wie das Wasser des Mühlbaches.
    Die Erinnerung an den vergangenen Abend brach den Bann. Sie schauderte, schlug die Augen nieder und schlang die Arme schutzsuchend um den Oberkörper. Sie war es nicht gewohnt, dermaßen angestarrt zu werden, und sie kam sich nackt und ausgeliefert vor ohne die schützende Haube und die hochgeschlossene Nonnentracht.
    Ludo machte sich im Hintergrund an den Bündeln zu schaffen, und als er mit dem Kettenhemd des Ritters scheppernd gegen den Brustpanzer stieß, fuhr Kérven des Iles zusammen. Eine ungewohnte Röte stieg in seine Stirn, als ihm das Bild bewusst wurde, das er abgeben musste. Der eben ernannte Graf von Lunaudaie starrte eine Magd an, als sei sie soeben vom Himmel gefallen. Hoffentlich war Ludo entgangen, dass sein Herr sich um ein Haar lächerlich gemacht hätte. Ungerechterweise gab er dem Mädchen die Schuld daran.
    »Ich schlage vor, du erhebst dich und lässt Ludo seine Arbeit machen«, sagte er leicht unwirsch. »Vielleicht kannst du mir jetzt meine Fragen beantworten. Woher kommst du, und wohin möchtest du gehen? Wie bist du in die Fänge von Cocherels Männern geraten? Gehörst du etwa zu den Marketenderinnen?«
    Sein verdrießlicher Tonfall weckte Gracianas Lebensgeister schneller als jedes Mitleid. Ihr Stolz bäumte sich auf, und sie überschlug in wenigen Herzschlägen die Möglichkeiten, die ihr blieben. Die Wahrheit sagen? Zugeben, dass sie eine Novizin aus Sainte Anne d’Auray war und darum bitten, dass man sie in das nächste Kloster brachte, damit sie dort Zuflucht suchen konnte? Damit sie ein Leben lang Mutter Elissas Auftrag erfüllte, für die Seelen ihrer armen Mutter und deren stolzer Tante zu beten? Noch mehr Gebete, die nichts bewirkten?
    »Hast du überhaupt einen Namen, Mädchen?«, fuhr der Ritter sie an, ohne auf eine Antwort zu warten.
    »Graciana!«
    Immerhin das konnte sie sagen, ohne zu viel zu verraten.
    »Graciana? Wahrhaftig!«
    Verblüfft von dem Namen, der ihm so gar nicht zu einer Magd oder Marketenderin zu passen schien, runzelte der Seigneur die Stirn. Er hatte Rose oder Pauline erwartet, Marie oder etwas ähnlich Normales. Kein Bauer oder Handwerker taufte seine Tochter Graciana!
    »Ich hab’ ihn mir nicht ausgesucht«, sagte Graciana kratzbürstig. »Ebenso wenig, wie ich mir mein Leben ausgesucht habe. Ich wüsste nicht, wie ich das hätte bewirken sollen!«
    »Je nun!« Entwaffnet von der unverhüllten Streitsüchtigkeit, mit der sie ihm begegnete, brach Kérven des Iles in ein unerwartetes Lachen aus. »Du hast nicht nur die Augen einer Raubkatze, mir scheint, du besitzt auch das Temperament eines solchen Tieres. Erinnere dich, dass du mich um Hilfe gebeten hast!«
    Beschämt versuchte Graciana sich zu mäßigen, sich an die Beherrschung zu erinnern, die man sie gelehrt hatte. Von Kindesbeinen an war sie in Schwierigkeiten geraten, wenn sie ihren stürmischen Gefühlen nachgab und

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