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Graciana - Das Rätsel der Perle

Graciana - Das Rätsel der Perle

Titel: Graciana - Das Rätsel der Perle Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Marie Cordonnier
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fest, dass der Graf von Lunaudaie sich geändert hatte. Früher war es nicht seine Art gewesen, so feinfühlig auf jene zu achten, die älter und schwächer waren. Nun jedoch nahm er sich die Zeit, einen alten Mann zu stützen, und erst, als jener wieder auf sicherem Boden stand, eilte er davon, um das Kettenhemd und sein Schwert anzulegen.
    Dabei war gar keine Eile nötig. Ehe das erste Fuhrwerk ratternd durch das Tor der Burg zockelte, verging noch gut eine Stunde. Trotz des nasskalten Windes hatte sich überraschend viel Gesinde im Burghof eingefunden, in dem die Fackeln gegen den abendlichen Nebel ankämpften. Jede Magd und jeder Knecht von Lunaudaie, der sich von seiner Aufgabe hatte davonstehlen können, drückte sich zum Ärger des Burgherrn müßig in Sichtweite des Tores herum.
    Kérven des Iles jedoch zügelte seine Neugier. Er hatte die Arme über seinem Wappenrock mit dem goldgestickten Adler von Lunaudaie verschränkt und stand auf der obersten Stufe vor dem Eingang des Wohntraktes. Das Schwert in der Scheide, barhäuptig mit wehenden braunen Haaren, stand er breitbeinig da und sah den Ankömmlingen entgegen.
    Sollte er die Neugierigen ins Haus befehlen? Kam es zum Kampf, ging er das Risiko ein, dass sich sein Gesinde zwischen den Fronten befand. Andererseits, wer zog mit Ochsenfuhrwerken in den Krieg? Stünde wirklich eine bewaffnete Auseinandersetzung an, hätte ihm der Herzog doch unter Garantie einen reitenden Boten geschickt. Aber ehe er eine Entscheidung treffen konnte, tauchten die ersten Reiter unter dem Burgtor auf.
    Die Fuhrwerke wurden von einer ungewöhnlich starken Eskorte des Herzogs begleitet, und die Soldaten nahmen ehrerbietig Aufstellung, als der geschlossene Reisewagen mit dem Wappen Jean de Montforts in ihrer Mitte anhielt. Kérven ließ verblüfft die verschränkten Arme sinken. Der Herzog selbst? Unmöglich, der würde doch nie einen Wagen ... und dann auch noch wenige Tage vor dem Christfest, das er in Rennes feiern wollte ...
    Er kam nicht dazu, seine Gedanken zu Ende zu bringen, denn die geschnitzte blaugoldene Tür schwang auf. Eine junge Dienerin hüpfte heraus und klappte die Stufen herunter. Als erster erschien ein grauhaariger Hüne im pelzgefütterten Reisemantel. Kérven erkannte zu seiner Verblüffung den Waffenmeister des Herzogs. Pol de Pélage! Was wollte er in Lunaudaie?
    Er eilte die Steinstufen hinunter, um den Ritter willkommen zu heißen. Doch, er wäre fast ins Stolpern geraten, als der Waffenmeister sich umdrehte und seine Hand einem weiteren Reisenden reichte, der sie ergriff, um sicher aus dem Wagen zu klettern.
    Die hochgewachsene Edeldame trug einen eleganten, veilchenfarbenen Reiseumhang, der bei ihren Bewegungen kostbares, dunkelschimmerndes Marderfell enthüllte. Eine verschlungene Goldbrosche leuchtete am Halsausschnitt, die sogar aus der Entfernung als das Meisterwerk eines geschickten Goldschmieds zu erkennen war. Obwohl das helle Haar unter Schleier und Kapuze verborgen blieb, erkannte Kérven sofort die Art und Weise, wie sie den Kopf hob und sich umsah.
    Ihr Blick fiel auf sein fassungsloses Gesicht, und sie gönnte ihm ein kühl-gnädiges Lächeln, das jeder Fürstin zur Ehre gereicht hätte.
    »Messire!«, sagte sie geziert. »Wenn Ihr bitte veranlassen wollt, dass man sich um die Fuhrwerke kümmert und meine Truhen ins Haus bringt. Es ist entsetzlich kalt und kein angenehmer Tag zum Reisen. Ich nehme doch an, dass das Feuer in der großen Halle brennt!«
    »Die Fuhrwerke ...«, stotterte Kérven wie ein vollendeter Trottel. »Was zum ...«
    »Steine!«, entgegnete sie beiläufig und zupfte an ihren feinen, bestickten Lederhandschuhen. »Behauener Granit für die zerstörten Türme. Sandstein für die Verzierungen und Marmor für neue Kamine. Auch Platten für die Gänge und nicht zu vergessen, alles, was ich an Möbeln in der kurzen Zeit in Rennes bekommen konnte. Natürlich auch Vorräte, Waffen und andere Notwendigkeiten, die wir benötigen, wenn die Besatzung der Burg verstärkt wird.«
    »Die Besatzung der Burg wird verstärkt?«, fragte Kérven und schalt sich selbst einen Narren, weil er nur nachplapperte, was diese Erscheinung vorsagte, die auf eine seltsame Weise wie Graciana aussah, aber doch unmöglich Graciana sein konnte.
    »Seine Gnaden der Herzog meint, dass Ihr als Graf von Lunaudaie über zu wenig Truppen verfügt«, erklärte Graciana so frostig-liebenswürdig, als sei er tatsächlich ein Dummkopf, der überflüssige Fragen

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