Graciana - Das Rätsel der Perle
wilden Spiel gelitten.
»Ich hatte mir geschworen, Euch nie wieder Schmerzen zu bereiten«, stieß er gequält hervor. »Ich weiß nicht, was über mich gekommen ist!«
»Ihr habt mir keine Schmerzen bereitet«, entgegnete Graciana leise, immer noch ganz erfüllt von der Lust, die ihr gerade geschenkt worden war.
»Es ist unverzeihlich, was ich getan habe«, beharrte Kérven. »Ich verdiene Eure Verachtung!«
»Ich verachte Euch nicht.« Graciana schüttelte den Kopf und fragte sich dabei, weshalb er sie nicht einfach in seine Arme schloss und küsste.
»Bei allen Heiligen, es war der Wein. Ich meine, nüchtern hätte ich nie ...«
Langsam wich Gracianas weiche, liebevolle Haltung zunehmender Fassungslosigkeit. Was wollte er damit sagen?
»Was hättet Ihr nie, wenn Ihr nüchtern gewesen wärt?«, erkundigte sie sich scharf.
»Mich wie ein Landsknecht an Euch vergangen!«, rief Kérven schuldbewusst. Ehe sie begriff, was er vorhatte, sank er vor ihr auf die Knie.
»Was tut Ihr da, steht auf!«
Sie versuchte ungeduldig, ihn hochzuzerren. Sie mochte es nicht, wenn er sich auf diese Weise zum Narren machte. Was sollte diese Büßerhaltung?
»Ich bin zutiefst beschämt!« Er fasste nach ihrer Hand und drückte tatsächlich wie ein reuiger Sünder seine Stirn dagegen. »Ich werde gehen! Ich werde Euch nie wieder belästigen, Graciana. Ich hoffe, Ihr werdet in den Armen eines edlen Gemahls irgendwann vergessen können, was ich Euch angetan habe. Es ist nur aus eigensüchtiger Liebe geschehen ...«
»Aber ...«
Ehe sie auch nur einen Satz antworten konnte, war er aufgesprungen und stürmte wie von Sinnen aus dem kleinen Gemach.
Graciana starrte die Tür an und stampfte wütend mit dem kleinen Fuß auf.
»Zum Kuckuck, Kérven des Iles, du bist wahrhaftig der größte Narr der ganzen Bretagne!«, rief sie in hellem Zorn, und es war ihr völlig egal, wer diese Beleidigung hörte. Hatte die Welt je einen solchen Dummkopf gesehen?
In ihrem Zorn packte sie den nächstbesten Gegenstand und warf ihn an die Wand, von der er klirrend zu Boden stürzte. Aber erst nachdem das Tintenfass seinen Inhalt an die weiß gekalkte Wand versprüht hatte, kam ihr zu Bewusstsein, dass sie in ihrem Jähzorn das Privatkabinett des Herzogs verwüstete. Nachdem sie und Kérven sich auf seinem Tisch geliebt hatten! Auch das noch!
Beschämt versuchte Graciana, ihre Beherrschung zurückzugewinnen. Nur mühsam bekam sie ihren Wunsch, zu toben und zuschreien, unter Kontrolle. Ihr Puls jagte, und ihre Hände ballten sich zu Fäusten. Wäre Kérven geblieben, sie hätte sich auf ihn gestürzt, um ihn zu schlagen, zu kratzen und zu beißen.
Als sie sich endlich fähig fühlte, das kleine Gemach zu verlassen, hatte sie zwar ihr Möglichstes getan, ihr derangiertes Kleid und den Schleier wieder in Ordnung zu bringen, aber ihre blitzenden Augen und der kriegerische Zug um ihren Mund verrieten dem Herzog dennoch, dass die Begegnung mit Kérven des Iles nicht in völliger gegenseitiger Harmonie geendet hatte.
»Habt Geduld«, riet er ihr gutmütig. »Irgendwann wird auch ein Eisenschädel wie Kérven des Iles wieder zur Vernunft kommen. Bleibt bei Hof und lasst ihn in seinem geliebten Lunaudaie einige Zeit in seinem eigenen Saft schmoren. Ich möchte wetten, spätestens zum Dreikönigsfest kommt er zurück.«
Graciana senkte beschämt den Kopf. Sie erinnerte sich an die Verwüstung, die sie hinterlassen hatte.
»Ich muss mich entschuldigen, Euer Gnaden. Ich habe ein Tintengefäß an die Wand geworfen, man wird die Stelle neu kalken müssen. Ich ... es tut mir leid. Schon Mutter Elissa hat meine beklagenswerte Neigung, sehr ärgerlich zu werden, stets getadelt.«
Seine Gnaden, Jean de Montfort, brach in so schallendes Gelächter aus, dass die Gäste in der Halle sich erstaunt nach ihm umdrehten und zu gerne den Grund für seine Heiterkeit gewusst hätten. Die überraschende neue Schönheit, Graciana de Cesson, konnte es wohl kaum gewesen sein. Sie schaute drein, als habe sie eben versehentlich einen gepökelten Salzhering in die falsche Kehle bekommen.
»Er hat Euch also wütend gemacht?« Der Herzog hatte sich endlich wieder gefasst und wischte sich die Lachtränen aus den Augenwinkeln.
»Wütender, als ich es je in meinem Leben gewesen bin«, gab Graciana schuldbewusst zu. »Ich fürchte, ich habe mehr vom teuflischen Naturell meines Vaters geerbt, als gut für mich ist!«
»Macht Euch keine Sorgen«, meinte der Herzog schmunzelnd. »Es
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