Graciana - Das Rätsel der Perle
stellte. »Zudem müsst Ihr Euch ja auch um Cesson kümmern, und es ist sicher angebracht, wenn ihr dort vertrauenswürdige Leute aus Lunaudaie hinschickt, während die Lücken hier von den neuen Männern aufgefüllt werden. Habt Ihr sonst noch Fragen?«
Pol de Pélage hatte Mühe, sein Lachen zu unterdrücken. Was für eine entzückende kleine Hexe dieses Mädchen doch sein konnte! Man konnte fast Mitleid mit dem entgeisterten Seigneur bekommen, der weder seinen Augen noch seinen Ohren traute.
»Nur eine!« Kérven hatte sich endlich so weit im Griff, dass er seinen Verstand wieder gebrauchen konnte. »Was zum Teufel macht Ihr hier?«
Sie beachtete ihn gar nicht, sondern schenkte der vierten Gestalt, die aus dem Reisewagen geklettert war, ein liebenswürdiges Lächeln. Es handelte sich um einen hageren Mönch mit freundlichen blauen Augen, der ganz damit beschäftigt war, sich umzusehen.
»Das ist Pater Raoul!« Sie warf Kérven die Information wie einen Brocken für einen lästigen Hund hin, ehe sie sich wieder dem Mönch zuwandte. »Pater, erlaubt, dass ich Euch dem Herrn dieser Festung, Messire Kérven des Iles, Graf von Lunaudaie, vorstelle.«
»Willkommen Pater«, meinte der Ritter, sich seiner Erziehung entsinnend. »Aber was ...«
»Seine Gnaden meinte, dass es auf Lunaudaie sicher keinen Burgkaplan gibt«, zwitscherte Graciana und raffte Umhang und Röcke mit einer eleganten Bewegung. »Er war so freundlich, mir Pater Raoul mitzugeben, der künftig für unser Seelenheil zuständig sein wird. Können wir nun ins Haus gehen?«
Zum allseitigen großen Bedauern der gespannten Zuhörer kam Kérven dieser Aufforderung endlich nach. Bis auf Fiacre de Mar und Ludo hatte niemand aus Lunaudaie in der vermummten, zierlichen Gestalt Graciana erkannt.
Daher entschlüpfte Rose Melrand auch ein verblüfftes Quieken, als die Edeldame vor dem Kamin den Umhang öffnete und die Kapuze vom Kopf streifte.
»Die Dirne!«, murmelte sie zwar leise, aber sie wurde doch verstanden.
Kérven hatte das Wort gehört. Er wirbelte auf dem Absatz herum, und ehe die mollige Hausverwalterin begriff, wie ihr geschah, hatte er sie an den Oberarmen gepackt und hob sie hoch, damit ihre Augen genau auf Höhe der seinen waren, die sie wütend anfunkelten. Dass ihre Füße in den Holzpantoffeln hilflos in der Luft zappelten, kümmerte ihn nicht im Geringsten.
»Noch ein einziges kränkendes Wort über die Dame de Cesson, und du bist die längste Zeit in Lohn und Brot bei mir gewesen! Du wirst meinem Gast den untertänigen Respekt entgegenbringen, der einer Dame von Rang und Namen in diesem Hause gebührt!«
Rose klappte in ihre Schuhe und auf den Boden zurück und sank schon aus diesem Grund in eine respektvolle Reverenz. Gracianas Blick ruhte nachdenklich auf dem gesenkten Kopf mit der steifen Leinenhaube. Sie vermochte nicht zu glauben, dass sie einmal fast Angst vor dieser Frau gehabt hatte.
»Verzeiht«, wandte sich Kérven nun seltsam steif an sie. »Aber ich vermag immer noch nicht zu begreifen, was Euer Besuch bei mir bedeuten soll. Der Weg nach Cesson berührt Lunaudaie doch gar nicht!«
»Es ist kein Besuch!«, verkündete Graciana bedächtig und ließ sich in dem geschnitzten Stuhl vor dem Kamin nieder.
Das hochgeschlossene, erikafarbene Samtkleid mit den schweren Pelzbesätzen an Kragen, Ärmeln und Saum ließ sie wie eine Königin wirken. Sie hatte die Haare einmal mehr zu dicken Zöpfen geflochten, die unter dem Schleier wie zu einer Krone hochgesteckt waren. Die Hände sittsam im Schoß gefaltet, saß sie da, unnahbar und herzzerreißend schön.
»Das verstehe ich nicht ...«
Der Seigneur des Iles bekämpfte den jähzornigen Impuls, sie ebenso zu schütteln, wie er es mit Rose getan hatte. Sie führte ihn an der Nase herum, dazu bedurfte es keiner großen Phantasie. Er sah es an dem Feuer, das in ihren goldenen Augen glänzte. Wenn sie sich an ihm rächen wollte, wofür er alles Verständnis der Welt hatte, weshalb tat sie es dann auf diese eigenartige Weise?
»Ich statte Euch keinen Besuch ab, Messire«, verkündete sie nun völlig beherrscht. »Ich bin gekommen, um zu bleiben. Pater Raoul wird uns im Auftrag des Herzogs am Weihnachtstag trauen!«
»Pa ...«
Kérven brachte nicht einmal das erste Wort vollständig über die Lippen. Seine empörten Blicke glitten über Pater Raoul und blieben schließlich an Pol de Pélage hängen, der sich eben seine Handschuhe auszog und der Einzige zu sein schien, bei dem man so
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