Graf Petöfy
Novemberzeit. Und wir saßen dann, ohne der Gefahr zu gedenken, oder vielleicht auch uns getröstend, daß sie gerade diesmal nicht kommen werde, still um unsern Arbeitstisch her und überlegten, den Griffel oder die Feder aus der Hand legend, was wir uns wohl zum Christfest wünschen sollten. Und wenn wir dann einen Scheffel Wünsche durchberaten hatten, dann hieß es: ›Zu Bett!‹, und wir nahmen die Weihnachtsbilder, wie wir sie von frühester Kindheit an kannten, mit in unsern Traum und sahen die Krippe mit dem Kindlein und den Stern überm Haus. Und auch Joseph und die Jungfrau Maria.«
»Und die Jungfrau Maria«, wiederholte die Gräfin und lächelte. »Aus euren Kirchen habt ihr sie verbannt, aber an eurem Herde lebt sie fort. Oh, sie stirbt nicht aus, die Gebenedeite!«
»Lassen wir die Jungfrau«, sagte der alte Graf, »ich dürste jetzt nach Vineta.«
»Nun denn also, wir nahmen die Bilder mit in unsern Traum und sahen den Himmel offen und die Engelscharen herniedersteigen. Aber mit einem Male gab's einen unheimlichen Stoß uns zu Häupten, ein Rütteln und Schütteln begann, und wir fuhren aus unserem Kinderschlaf in die Höhe und sahen erschreckt und blaß einander an, denn wir wußten nun, daß der Nordwester doch gekommen sei, derselbe gefürchtete Nordwester, von dem wir gehofft hatten, er werde diesmal wenigstens an uns vorübergehen, und von dem uns die Kindermuhme von Jugend auf erzählt hatte: der könn uns wegschwemmen, und eines Tages werd er's auch, denn er sei der eigentliche Herr hier und wir lebten nur von seiner Gnade, und wenn er wolle, so wär es mit uns vorbei. Ja, dann beteten wir, aber wir wußten nicht, was wir sagten, denn wir dachten nicht an Gott und Glauben, sondern bloß an unsere Not und Gefahr, und unsere Seele war nichts als Angst und Aufhorchen auf den Sturm. Oh, noch jetzt überrieselt's mich, wenn ich an jene Schreckensnächte denke. Die vom First abgerissenen Hohlsteine klinkerten über das Dach hin, in dem Rauchfang ging ein Geheul, alle Läden und Türen klappten oder klapperten, und wenn dann mit eins eine Pause kam, so war es am schlimmsten und zitterten wir am meisten, denn dann hörten wir durch das tiefe Schweigen hin das Gebrause des Meeres draußen, das an die Dünen und Dämme schlug und die großen eingerammten Steine wie Kiesel aus der Westermole wusch. Am Bollwerk aber, trotz der Ziegel und Fahnenstangen, die niederstürzten, war alles Geschäftigkeit, und wir sahen durch unsere Giebelfensterscheibe, deren kleine Gardine wir ängstlich zurückgestreift hatten, wie sie drunten die Schiffe fester an die Pfähle banden, aber doch zugleich auch die Boote von Bord her ans Ufer brachten, um eine letzte Rettung zu haben für den Fall, daß es zum Schlimmsten käme. Denn der Nordwester staute nicht nur den Strom zurück, sondern trieb auch das Flutwasser mit solcher Gewalt von draußen her in den Strom hinein, daß es am Kai hin oft nur noch zollbreit unter der obersten Balkenlage stand. Und einmal – ich seh es, als ob es gestern gewesen wäre – stieg es drüber hinaus, und im Nu war die niedriger liegende Stadt ein See von einem Punkte zum andern, und in unsern Flur hinein stürzte die Welle. Da schrien wir auf, denn nun erfüllte sich unser Schicksal, und wir mußten untergehen, wie Vineta untergegangen war.«
»Aber der Herr, der den Winden gebietet...«
»Gebot ihnen auch diesmal wieder, und was in der Nacht unser Entsetzen gewesen war, das war tags darauf unsere Lust und unsere Wonne. Die flottgemachten Boote fuhren jetzt hin und her: unser Nachbar, der Bäcker, landete mit seinen Wecken und Semmeln, und als es Tag geworden und ein klarer blauer Himmel über der Stadt war, waren wir glücklich, uns zu Schiff abholen und zu Schiff in die Schule fahren zu können. Und glücklich wie wir war die ganze Stadt. Über Tonnen und Bretter hin ging der Verkehr, bis nach abermals einer Woche die große Sintflut verlaufen und ein dichter Schnee gefallen war.
Und unter Schellengeläute ging's nun durch die verschneite Stadt hin, über deren Schneedächern die Wimpel und Flaggen jetzt wieder flatterten und beinahe lustiger noch flatterten als um Johannistag und die Sommerzeit.«
Zehntes Kapitel
An diese Schilderungen hatte sich noch eine ziemlich lebhafte Plauderei zwischen Feßler und Franziska geknüpft. Er ließ sich aus dem Gesellschaftsleben der kleinen norddeutschen Stadt erzählen und tat Fragen über Fragen. Am meisten interessierten ihn die Bilder
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