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Graf Petöfy

Graf Petöfy

Titel: Graf Petöfy Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Theodor Fontane
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als es seinen Jahren nach hätte sein müssen, und sah eigentlich immer aus, als ob er irgendeinem das letzte Gebet sprechen wolle. Trotz allem Grauen aber, das mir sein Ernst und seine Hagerkeit einflößten, hatt ich ihn gern oder doch nicht ungern, weil mir alles an ihm apart vorkam und nicht zum wenigsten seine Wohnung, die dicht neben dem Kirchhofsgitter lag und eigentlich geradeso wirkte wie der alte Stedingk selber. Denn das war sein Name, Tordeson Stedingk, und es hieß, daß er von den schwedischen Stedingks herstamme. Sommers standen immer frisch angestrichene Bahren, die trocknen sollten, um sein Haus her, Grund genug zu Grusel und Angst, am meisten aber ängstigte mich ein kleines Gärtchen, das von Buchsbaum eingefaßt war und darin nur immer Studententblumen blühten. Einmal sah er mich und rief mich heran, um mir eine dieser gelben Blumen zu geben, aber ich war wie starr vor Schreck und schüttelte nur den Kopf. Als ich mich endlich wieder erholt hatte, lief ich fort und hatte dabei das Gefühl, als ob mich irgendwer an den Hacken halte.«
    »Das wird aber doch eine Gespenstergeschichte.«
    »Nein, nein. Ich verirre mich bloß und krame mehr aus, als zu meiner Geschichte gehört, alles nur, weil die Bilder von alter Zeit her wieder lebendig werden und so mächtig auf mich einstürmen, daß ich mich ihrer nicht ganz erwehren kann.«
    Und sie tupfte, während sie so sprach, mit ihrem Taschentuch über die Stirn hin und fuhr dann fort:
    »Unser eigentlicher Spielplatz war ein großer Grasplatz um die Kirche her, auf dem Bauholz und allerlei Stämme lagen, die, wenn der Herbst kam, geschnitten werden sollten, Kiefern und Tannen und auch wohl Birken- und Eschenholz, in der Mitte des Platzes aber war ein Tümpel, durch den die Jungen, die gute Stelzenläufer waren, immer durchmarschierten, was mich so mit Neid und Entzücken erfüllte, daß ich's auch zu lernen anfing und nicht eher zufrieden war, als bis ich mit allen um die Wette mitten im Wasser stehen und auf einer Stelze balancieren und mit der andern präsentieren konnte. Du kannst dir denken, welche Wonne das war.«
    Petöfy nickte seine Zustimmung.
    »Aber«, fuhr Franziska fort, »was war der Kirchplatz im Vergleich zu dem Kirchhof, der dicht daneben lag und über dessen niedrige Mauer weg die Hagebuttensträucher bis in die Straße hineinwuchsen. An dem Kirchhofe hing unser ganzes Herz. Eigentlich war es kein rechter Kirchhof mehr, denn was starb, wurde seit Jahr und Tag schon vors Tor hinausgetragen und auf einem abgesteckten und ummauerten Stück Heideland begraben, einzelne Familien in der Stadt aber hatten noch ein Anrecht an den alten Kirchhof, und so kam es, daß immer noch von Zeit zu Zeit auf ihm beerdigt wurde. Das war denn allemal ein Festtag für uns, und wenn am Abend vorher, so gegen Sonnenuntergang, der alte Stedingk aus seiner Hoftür trat und sich ans Graben machte, so fehlte keiner von uns, weil jeder neugierig war, ihn das Grab aufschütten zu sehen. Und einmal hatten wir auch wieder so gestanden und zugesehen und, als er zuletzt fertig war, unser schon draußen auf dem Kirchplatz begonnenes Spiel auf dem Kirchhof drinnen wieder aufgenommen. Es hieß ›Hirsch und Jäger‹ – ich weiß nicht, ob ihr das Spiel hier auch habt –, der stärkste Junge, wie sich denken läßt, war allemal ›der Hirsch‹, der aufgestöbert oder auch in seinem Versteck überrascht, umstellt und zur Kapitulation gezwungen werden mußte. Dieser stärkste Junge nun, der damals mit uns spielte, hieß Willy Thompson und war eines reichen Schiffsreeders Sohn, dessen Familie von Inverness oder Aberdeen herübergekommen war. Denn in der kleinen Stadt war alles schottisch oder schwedisch, weil der Handel dahin ging. Nun, dieser Willy war eigentlich ein blondes Prachtstück, trotzdem er übermütig und hochfahrend und ein vollkommener Tyrann war, der uns in Schrecken und blindem Gehorsam hielt.
    Wenn ein Streit ausbrach, so stand alles auf seiner Seite, bloß aus Furcht vor ihm, und daß ihm irgendwer widersprochen hätte, kam eigentlich gar nicht vor.«
    Der alte Graf richtete sich auf, ersichtlich immer interessierter, weil er bei dieser Schilderung die Bilder seiner eigenen Jugend wieder vor sich aufsteigen sah.
    »Und so war es auch an dem Abend«, fuhr Franziska fort, »von dem ich erzähle. Kaum daß unser blonder Tyrann ausgeflogen und in seinem Versteck untergekrochen war, so war auch schon alles hinter ihm her, hierhin, dorthin, und während er sonst

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