Graf Petöfy
darauf rechnen durfte, nie gefunden zu werden, und dann ganz zuletzt wie gutwillig zum Vorschein kam, um uns zu verhöhnen und auszulachen, so hatten wir ihn heut in fünf Minuten schon. In einer der Kirchhofsecken stand nämlich in schräger Stellung ein gußeisernes Monument, und in dem dreieckigen Winkel, der dadurch gebildet wurde, saß er und war nun gefangen. Unter einem ungeheuren Jubel holten wir ihn hervor, um ihn über den Kirchhof hin bis an die Anschlagstelle zurückzuführen. Als wir aber bis an die frisch gegrabene Grube gekommen waren, riß er sich plötzlich los, packte mich, die ich ihn besonders verhöhnt haben mochte, beim Zopf und schrie: ›Franze, du bist schuld; du hast geguckt, du hast mich verraten.‹ Ich sah, wie wütend er war, und legte mich aufs Versichern meiner Unschuld, aber er wurde nur immer wütender und schrie: ›Bekenn es, sag es, dann schenk ich's dir; sonst, sonst...‹, und nun fing er an zu schwören: ›Sonst werf ich dich hier ins Grab.‹ In meiner namenlosen Angst fiel ich vor ihm aufs Knie, gerad als ob sich's um mein Leben gehandelt hätte, und wirklich, ich glaub auch, ich hätt es nicht überlebt. Aber er wollte von nichts hören und wissen und zerrte mich auch wirklich schon auf die Stelle zu, wo mitten in dem eben aufgeworfenen Sandhaufen das große Grabscheit des alten Stedingk wie ein Kreuz im Zwielicht aufragte. Von den anderen Jungen hatte keiner den Mut, für mich einzutreten; als er jetzt aber oben stand und mich unerbittlich nach sich zog, sprang Hannah vor und sagte: ›Laß sie los!‹ Er aber lachte bloß, und es war auch zum Lachen, denn Hannah, die jetzt so derb und gesund aussieht, war damals ein blasses und schwächliches Kind und so mondscheinen, daß man sie durch und durch sehen konnte. ›Laß sie los!‹ rief sie noch einmal und legte die Hand auf die Grabscheitkrücke. ›Dummes Ding, du sollst mit hinein.‹ – ›Laß sie los!‹ rief sie zum dritten Mal, während ihr die Augen wie aus dem Kopfe traten, und als er noch immer nicht abließ und mich weiter zerrte, riß sie plötzlich das Grabscheit aus der Erde heraus und stieß es ihm mit solcher Gewalt vor die Brust, daß er rückwärts taumelte. Voll Geistesgegenwart griff er im Fallen noch nach einem Hagebuttenstrauch und hielt sich fest, während ihm zu unser aller Entsetzen das Blut über die Turnjacke floß; denn das nach oben hin ausgleitende Grabscheit hatte mit einer seiner scharfen Ecken ihm das Kinn bis an die Lippe hin aufgeschnitten. Und so hielt er sich eine Weile noch, bis er zuletzt ohnmächtig vor Schmerz und Blutverlust in denselben Hagebuttenstrauch hineinfiel, der ihn vor dem Niederstürzen ins Grab bewahrt hatte. ›Blut besiegelt‹, sagt das Sprichwort, und das Blut, das an diesem Tage floß, Petöfy, hat Hannahs und meine Freundschaft fürs Leben besiegelt.«
»Aber was wurd aus dem Jungen, dem zweiten Helden der Geschichte?«
»Nun, den haben wir vor drei Jahren in Leipzig mit dem ganz zerhauenen Gesicht eines alten Korpsburschen wiedergesehen. Er ließ sich bei mir melden, als ich dort zu Gastspiel war, war sans phrase reizend, und als er endlich auch Hannahs ansichtig wurde, brach er in einen wahren Höllenjubel aus und rief einmal über das andere: ›Sieh, Hannah, es ist immer so weitergegangen. Aber
die
hier‹, und dabei wies er auf die Narbe am Kinn, ›ist doch die beste.‹«
Der Graf war ernst geworden und sagte: »Fränzl, ich könnte dich um deine Hannah beneiden, wenn beneiden meine Sache wär. Aber das ist gewiß, sie ist ein Schatz für dich, den du festhalten mußt.«
»Das will ich auch. Aber zunächst will ich nachsehen, ob sie nichts versäumt und keine Torheiten begangen hat. Denn sobald sie krank ist, ist sie, was Medizin angeht, voll Ungehorsam und Unvernunft.«
»Ein Beweis mehr für ihre Vernünftigkeit. Ich werde schließlich auch noch ein Hannahschwärmer werden.«
Dreiundzwanzigstes Kapitel
Hannah schlief fest und atmete ruhig. Das Fieber hatte sichtlich nachgelassen, und leise, wie sie gekommen war, verließ Franziska, die wohl wußte, daß dieser Schlaf die Genesung bedeute, den Alkoven wieder, um in ihrem Wohnzimmer vor dem Kamin Platz zu nehmen.
Das Feuer darin war halb niedergebrannt, aber über dem Kamin befand sich ein Ofen, der seine Heizung von außen her empfing und trotz vorgerückter Stunde noch eine behagliche Temperatur ausströmte, was nicht überraschen durfte, denn der erst beim Beginn der Regentage zum
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