Graf Petöfy
Gespräch und Geplauder hatte man von der Landungsbrücke her den Punkt erreicht, wo die beiden Wagen hielten, Franziska nahm im ersten neben der Gräfin Platz, Egon aber im zweiten neben dem alten Grafen. Und im Fluge ging es nun auf Schloß Arpa zu.
»Nun, meine liebe kleine Gräfin«, sagte Judith, während sie die Quaste, die beständig hin und her flog, in Franziskas Kapuze zurückstopfte, »nun sage mir: come sta? Wie lebt sich's mit diesem Ungeheuer von Bruder, mit diesem Infidèle, mit diesem Überbleibsel aus dem Nachlasse des Herrn von Voltaire? Du hast mir geschrieben, du seist glücklich, und dein Teint und deine klaren Augen scheinen es mir bestätigen zu wollen, aber, meine teure Franziska, Briefe lügen und Teint und Augen auch. Aber was
nicht
lügt, das ist die Stimme, und so sage mir denn, denn so schön und so frei fahren wir nicht wieder in die Welt hinein, sage mir also: bist du glücklich?«
Franziska nahm Judiths Hand und küßte sie. Dann sagte sie, während sie zu der Gräfin aufsah und ihre Hand, die sich wie Wohlwollen anfühlte, fest in der ihrigen behielt: »Ich habe mehr Glück gewonnen, als ich erwartete. Der Graf liebt mich und ist edel und gerecht. Ob ich glücklich bin? Ich weiß es nicht, gnädigste Gräfin, aber ich hoff es. Vielleicht kann man glücklich sein, wenn man es sein will, und ich hab einmal gelesen, man könne das Glück auch lernen. Das hat mir gefallen. Und wirklich, es muß Mittel dazu geben.«
»Ja, das Gebet. Und vor allem das eine: ›Führ uns nicht in Versuchung.‹«
Auch in dem Wagen, der folgte, ging das Gespräch. Etwas von dem Schlammwasser spritzte gegen Egons Hut, der ihn abnahm, um ihn wieder zu säubern. »Sieh, gerad an den Gemsbart«, sagte der Oheim. »Und so straft dich denn der erste magyarische Tümpel für dein unmagyarisch Herz. In allem Ernst, Egon, du kannst in dem Gemsbarthute nicht zu dem alten Pejevics fahren, der, weil er eigentlich kein Magyar ist, selbstverständlich den Doppelmagyaren spielt. Aber gleichviel, deine Mutter war eine Petöfy, das vergißt man dir nicht und fordert einen Reiherbusch oder eine Adlerfeder von dir, solange du hier bist. Du kennst unsere kleinen Schwächen.«
»Und unterwerfe mich ihnen. Am wenigsten aber möcht ich mir die Jagd und die Stimmung auf Schloß Falcavar verderben. Weißt du, wer zugegen sein wird? Natürlich Szabô.«
»
Der
gewiß und sehr wahrscheinlich auch Perczel. Devaviany zweifelhaft. Familienmalheur. Im übrigen steh ich mit der Nachbarschaft auf einem Grollfuß und weiß eigentlich so gut wie nichts. Man beliebt nämlich, meine Gräfin nicht gräflich genug zu finden, oder bemängelt ihren Stammbaum. Ich bin aber nicht gewohnt, mir Vorschriften machen oder wohl gar alte Vorurteilsalbernheiten als ebensoviel Weisheit aufdrängen zu lassen.«
»Und so lebt ihr denn ziemlich einsam?«
»Nein und ja. Jedenfalls einsam genug, um sich eines lieben Besuches doppelt zu freuen.«
Und damit fuhr ihr Wagen unter dem Portal fort in den Schloßhof ein.
Sechsundzwanzigstes Kapitel
Seit jenem Ankunftstage war eine geraume Zeit, über drei Wochen, vergangen und Egon längst wieder von den großen Jagden im Pejevicsschen Schlosse zurück. Man war mitten im Oktober und sprach bereits von Abreise, das wundervolle Wetter aber, das jetzt ausgleichen zu wollen schien, was der Regen vorher verschuldet hatte, schob den Termin immer wieder hinaus. Auch war es mit dem Aufbruch ein gut Teil weniger ernsthaft gemeint, als es den Anschein hatte, wenigstens von seiten Egons, der nicht müde wurde, das »sich in der Ellipse bewegende Leben oder, was dasselbe sagen wolle, das Leben mit dem Doppelmittelpunkte zweier Tanten« als eine neue und höchste Daseinsform zu proklamieren.
Mit Franziska stand er überhaupt auf dem Neckfuß und versicherte, daß sie gleich vom ersten Augenblick an ihn in ihrer neuen Eigenschaft als »Magyarin« enttäuscht habe. Schon am Dampfschiff hab es begonnen. Er habe sie nämlich auf einem Rassepferd erwartet, im Reitkleid, mit wehendem Schleier und englischer Gerte; statt dessen sei sie wohlverwahrt in einem Korbwagen herangekommen, ganz wie protestantische kleine Comtessen, die zum Religionsunterricht oder zum Kinderball in die Stadt gefahren werden. Ja, so hab es begonnen, und was er seitdem hier erlebt habe, habe seine Verwunderung und seine Betrübnis nur gesteigert und ihn mehr und mehr erkennen lassen, auf wie falschen Wegen sie wandle. Sie wolle magyarisch sein oder
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