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Graf Petöfy

Graf Petöfy

Titel: Graf Petöfy Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Theodor Fontane
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hinaufsah, sah er, daß die Sterne fort waren. Er schwieg indes und fragte nur den mit dem Mohrenkopf, ob er nicht eine Decke für die Gräfin habe. Der nickte, gab dem andern sein Ruder mit in die Hand und kam gleich darnach mit zwei Decken zurück, die bis dahin in der Nähe des Steuers unter einem Stück Segeltuch gelegen hatten. Franziska stand auf und wollte sich darin einhüllen, aber sie hatte nicht mehr Kraft genug und streckte sich endlich auf Egons Bitten am Boden des Bootes hin aus, auf dem man ihr eine Kopflage zurechtgemacht hatte. Dann nahm Egon die Decken und deckte sie zu.
    Es war höchste Zeit, denn kaum daß sie so lag, so kam es auch schon wie eine Spirale die Luft herunter und hob das Wasser samt dem Boot in die Höhe, als ob ein Kork gezogen würde. Dazu wuchs das unheimliche Gepfeif, und als Egon jetzt unwillkürlich dem wenigstens anscheinend aus der Höhe niedersteigenden Tone nach obenhin folgte, sah er, daß die Sterne wieder da waren. Aber sie standen jetzt an einem wunderbar durchglühten Himmel, und ihr Licht, das eine Stunde vorher noch so still und friedlich auf die Welt herabgeblickt hatte, sah jetzt auf sie nieder, als ob es Unheil und Untergang bedeute.
    »Mich friert«, wiederholte Franziska, während sie mit der Hand auf ihre Schläfe wies; Egon aber, ohne sich zu besinnen, riß jetzt den langen blauen Schleier von dem neben ihr liegenden Reithut und wand ihn um ihre Stirn, und der freundlich matte Blick, der ihn traf, verriet ihm, daß er's mit diesem Dienste getroffen habe.
    Die Bootsleute hatten mittlerweile die Ruder eingezogen, und Egon, der eine Hoffnung daran knüpfen mochte, fragte: »Sind wir heraus?«
    Aber keiner antwortete.
    »Soll ich helfen?« fuhr er fort. »Wenn ihr müde seid, ich versteh's. Und Andras versteht es auch.«
    Aber sie schwiegen weiter.
    »Hört doch. Ich seh, ihr habt noch zwei andere Ruder; gebt sie nur her. Vier können mehr als zwei. Wir wollen mit anfassen.«
    Alles still.
    »Basseremtete!« rief jetzt Egon im Zorn. »Sprecht. Ich will Antwort haben. Wir kommen nicht von der Stelle, drehen uns bloß und müssen doch am Ende heraus.«
    »Müssen?« wiederholte der ältere nur, während er lächelnd seine Pfeife nahm und damit spielte.
    Franziska war bis dahin halb apathisch dem Gespräche gefolgt. Sie sah nun, wie's stand, und Egon die Hand reichend, sagte sie: »Verzeih!
Ich
bin schuld.«
    »Woran?«
    »An unserem Tod.«
    »Wir leben.«
    »Aber wie lange noch? Und es ist auch das Beste so. Wenigstens das Beste für mich. Der Tod löst alles Wirrnis, das ich heraufbeschworen habe. Was sollt ich noch hier? Ich sterbe gern, Egon, und gerade so, so. Das Glück bleibt mir treu bis zuletzt... Aber du?«
    »Nein, nein, Franziska. Es kann nicht sein; nicht so. Wir leben noch,
müssen
leben.« Und er ergriff ihre Hand und bedeckte sie mit Küssen.
    In diesem Augenblicke schwieg das Pfeifen und Singen oben in der Luft, und statt seiner gab es einen schweren, dumpfen Schlag, wie wenn ein Segel im Winde hin und her klappt. Und dabei legte sich das Boot auf die Seite, so weit und so tief, daß es kentern zu wollen schien; aber als es wieder stand, griffen beide Bootsleute mit ihren Rudern ein, und alle fühlten jetzt, auch Franziska, daß sie dem Tod entronnen und aus dem Trichter heraus seien.
    Egon hatte das Steuer genommen.
    »Wohin?« rief er. Aber der, der den Führer machte, wies nur auf ein Inselchen, das sie jetzt, keine hundert Schritte mehr entfernt, aus dem Wogenschwall aufragen sahen. Es war ein Schieferfelsen mit angespültem Schlick und Sand, an dessen Abhang die Möwen ihre Nester hatten. Aber keine war zu sehen, alle steckten in ihren Felsenlöchern, und nur ein Fischreiher, so schien es, stand auf der kahlen Höhe und hielt Umschau.
    »Wohin?« wiederholte Egon seine Frage.
    Doch statt aller Antwort kam diesmal ein Wellenstoß und warf das Boot auf den Strand.
    Alles sprang in die Brandung, und durch Schaum und Gischt hin watete man auf das Vorland zu, das zwischen dem Felsen und dem See lag. Allen voran Franziska, der mit der Hoffnung auf Leben auch die Lust am Leben wiedergekommen war, und als sie jetzt aus Tod und Brandung heraus mit einem Male wieder den trockenen Sand unter ihren Füßen knirschen fühlte, warf sie sich nieder und griff in den Sand hinein, als ob sie das Leben selbst mit aller Kraft aufs neu erfassen wolle. Dabei sprach sie Dankesworte vor sich hin und weinte und schluchzte, bis ihr Weinen und Schluchzen endlich

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