Graf Petöfy
auf solch freien und allerfreiesten Ton gestellt, auf einen Gesellschafts- und Lebensfuß, auf den sie sich stellen durfte, so hätte mir ihre Plauderei genügt, und ihr bon sens und der Sonnenschein ihrer ewig guten Laune wären mein Glück gewesen. Das war es, was ich damals in Öslau wollte. Statt dessen hatte sie's besser mit mir im Sinn... Wohl, ich wäre glücklicher geworden, wenn sie dies Bessere nie gewollt und, statt auf ihr Recht und ihre Freiheit zu verzichten, sich umgekehrt von Anfang an auf ihr Recht und ihre Freiheit gestellt hätte. Gewiß, gewiß. Aber soll ich den Entrüsteten spielen, bloß weil sie sich freiwillig höher eingeschätzt hat, als ihr Vermögen war?!«
Er stellte sich vor den Kamin und warf ein Scheit in die halb erloschene Flamme. »Mein Kalkül war falsch, und Judith hatte recht. Das ist alles. Es tut nie gut, sich in künstliche Situationen hineinzubegeben und sich auszurechnen, wie's kommen müsse. Die Rechnung stimmt nie. Wir kennen uns nie ganz aus, und über Nacht sind wir andere geworden, schlechter oder besser. Schlimm, wenn wir uns schlechter finden, aber oft schlimmer noch, wenn besser. Es gibt dann ein Wirrsal, draus kein Entrinnen ist, und daß wir, sie wie ich, das Leben ernsthafter zu nehmen anfingen, als es geplant war, das entscheidet nun über mich und vielleicht auch über sie.«
Von der Flamme fort sah er jetzt in die Höhe, wo dicht über dem Kamin, ja mit dem breiten Goldrahmen die Kaminkonsole berührend, ein Bild hing, sein Bild, im Attila und das Ordensband über der Brust. Typisch der Kavalier. Und er lächelte. »Ja, was ich wollte, war eine Kavalierslaune, von der ich schließlich einsehen muß, daß sie nicht der Schlüssel war, der überallhin schließt. Aber für das, was ich noch vorhabe, für das, was noch zu tun übrigbleibt, dafür paßt sie; nur nicht Umkehr oder die Blâme der Unkonsequenz, und wenn es von alter Zeit her als ein Höchstes gegolten hat, anderen zuliebe zu leben, so kann es unmöglich ein Niedriges sein, demselben Zweck und Ziel auch mal von der andern Seite her beikommen zu wollen. Auf den Zweck kommt es an, der entscheidet, der heiligt. Alter Grundsatz der Kirche. Wie sich wohl Feßler dazu stellen wird?«
Er setzte sich jetzt nieder und schrieb eine Stunde lang, anscheinend Geschäftliches, das er schließlich untersiegelte. Dann nahm er einen Briefbogen, warf rasch einige Zeilen hin, überflog noch einmal den Inhalt und verschloß beide Schriftstücke.
Den andern Morgen war er früher als gewöhnlich auf und klingelte. »Bringe das Frühstück, Andras. In einer Stunde will ich ausreiten.«
Im Palais war alles noch still, als der Graf sich in den Sattel hob und zunächst über den Josephsplatz auf den Kärntnerring und die Schwarzenbergbrücke zuritt. Andras folgte. Das Eckhaus der Salesinergasse, darin Franziska gewohnt hatte, lag in einem grauen Novembernebel; er sah hinauf, aber die Fenster der oberen Etage waren unerkennbar. »Ich soll es nicht sehen. Alles hat seine Bedeutung.« Auf dem Heumarkt, am Fluß und seiner Brücke hin herrschte schon das lebhafte Treiben, das hier allmorgendlich anzutreffen ist, aber es hatte nichts von seiner gewohnten Buntheit, und die Gestalten schoben sich wie Schatten aneinander vorüber. »Ist es doch, als ob es ein Unterweltsjahrmarkt wär. Und hätte doch mein altes Wien gerne noch mal in Lust und Farbe gesehen.«
An der Tegethoffbrücke bog er wieder ein und lenkte sein Pferd am Stadtpark hin auf die große Franz-Josephs-Kaserne zu, die grau verschleiert wie eine Wolkenburg dastand. Vom Kasernenhofe her klangen Trommeln und Hörner, aber dumpf wie Notsignale. So ritt er durch die Leopoldstadt bis in den Prater.
Als er draußen war, fiel der Nebel so stark, daß es sich einen Augenblick anließ, als ob die Sonne hervorkommen wolle. Doch es blieb bei dem guten Willen, und nur der Blick in die Landschaft war frei geworden. Er ritt an Plätzen vorbei, daran sich hundert Erinnerungen für ihn knüpften, bis er zuletzt auf eine künstlich aufgeworfene Höhe gekommen war, von der aus man einen Wiesengrund übersah, eine Niederung mit Tümpeln und Wasserlachen und ein paar schmalen Sandstreifen dazwischen. Eine der Lachen hatte Zufluß aus einem Graben, und das Wasser stieg in Folge davon so rasch, daß es nicht bloß die Sandstreifen, sondern zugleich auch eine hier eingenistete zahlreiche Kolonie von Feldmäusen mit Überschwemmung und Untergang bedrohte. Zu hundert und aber hundert kamen
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