Graf Petöfy
sie von links und rechts her aus ihren Löchern hervor, um sich auf eine höhergelegene Stelle hin zu retten. Aber kaum daß sie sich hier gesammelt hatten, so schoß auch schon von einer danebenstehenden und in ihrer ganzen obern Hälfte mit Nestern überdeckten Pappel allerlei Krähenvolk auf die geflüchteten Mäuse nieder und fuhr mit ihnen als gute Beute davon.
Der alte Graf hatte sein Pferd angehalten, um dem sonderbaren Schauspiele zuzusehen. »Überall dasselbe: keine Flucht vor dem, was einmal beschlossen.«
Er ritt weiter in den Prater hinein und eine halbe Stunde später an dem Liechtensteinschen Garten vorüber heimwärts auf sein Palais zu.
Es war elf Uhr, als er hier wieder eintraf und das Pferd abgab. Er sprach mit dem Türhüter, der wie gewöhnlich am Eingang in das Vestibül stand, und erkundigte sich, ob die großen Topfgewächse schon angekommen seien.
»Alles da.«
»Gut. Aber ich will es doch sehen. Komm. Oder nein, bleib; Andras soll mich begleiten.«
Und er stieg in den oberen Stock hinauf, in dem für das heute stattfindende Fest alles bereits in Geschäftigkeit war.
»Es wird niemand erscheinen«, sprach er vor sich hin. »Aber ich will die Stelle doch sehen, wo Graf und Gräfin Petöfy die Saison eröffnen und ihren ersten Ball geben wollten. Und will mir auch die Palmen und sogar die Lebensbäume betrachten, die nun wohl eine Woche lang im Hause bleiben und mir dann von hier aus bei den Augustinern ihren letzten Liebesdienst leisten werden.«
Unter diesem Selbstgespräche war er eingetreten und sah auf den ersten Blick und mit besonderer Befriedigung, daß Aufstellung und Anordnung genau so waren wie letzten Winter, als Franziska zum ersten Male hier erschien. Auch die grüne Nische war wieder arrangiert, in der er damals, als die Nachricht von Gablenz' Tode kam, mit Egon und Graf Coronini gesessen und des jungen Rittmeisters unliebsame Bemerkungen so scharf zurückgewiesen hatte. Jedes seiner eigenen Worte kam ihm wieder in Erinnerung, und er lächelte: »War es eine Vorahnung? Jedenfalls ist es mir lieb, damals nicht anders gesprochen zu haben.«
Er ging vom Saal her den langen Korridor hinunter. Als er die Zimmerreihe passierte, darin Franziska jetzt wohnte, traf er Hannah.
»Ist die Gräfin zu Haus?«
»Nein. Eben fort; sie braucht noch einiges für den Abend.«
»Es ist gut so. Wenn du sie siehst, sag ihr, daß ich nach ihr gefragt. Aber vergiß es nicht.«
Er gab ihr die Hand, was ihr auffiel. Dann ging er auf sein Zimmer zu, darin Andras eben das Fenster schloß.
»Ich bin für niemand zu sprechen, Andras. Für niemand. Und diesen Brief gib an die Gräfin, wenn sie zurück ist. Und nun geh. Ich will allein sein.«
Fünfunddreißigstes Kapitel
Eine Woche darnach, nachdem seitens der Kirche sein gewaltsamer Tod auf einen Anfall von Melancholie gedeutet worden war, war Totenfeier bei den Augustinern, und das Wappen der Petöfys stand zu Häupten des Katafalks, darüber die schwarze Sammetdecke mit dem Silberkreuz ausgebreitet lag. Im Halbkreis um den Altar her aber saßen außer den nächsten Angehörigen auch entferntere Leidtragende der Familien Asperg und Gundolskirchen, während das ganze Schiff der Kirche von Uniformen blitzte. Daneben viel Volks. Denn der Heimgegangene hatte die Werke der Barmherzigkeit allezeit geübt und war ein Christ in seinem Tun gewesen, wie sehr es sein Wort auch bestritten haben mochte. Viele waren selbstverständlich nur aus Neugier gekommen und erzählten im Flüstertone, was sie von seinem Tode gehört hatten: er habe zurückgelehnt in seinem Schreibstuhl gesessen, auf den ersten Blick ohne Zeichen äußerer Verletzung oder überhaupt dessen, was geschehen sei, denn er habe sich nach innen hin verblutet. Auch über das, was seinen Tod verschuldet, wurde gemutmaßt: es habe sich um ein Hofamt gehandelt, das eben vakant geworden und in früherer Zeit immer bei den Petöfys gewesen sei, der Kaiser aber hab es nicht gewollt, entweder wegen der jungen Gräfin oder noch von Neunundvierzig und der Revolution her. Und das habe der alte Graf nicht verwinden können. So ging das Gespräch. Alles schwieg aber vom selben Augenblick an, wo Pater Feßler vor dem Altar erschien und mit der ihm eigenen, beinah kirchenfürstlichen Würde die Zelebrierung des Totenamtes begann. Die Responsorien klangen, und die Kerzen auf den mit Flor umwundenen Leuchtern brannten dunkler noch als gewöhnlich in dem Weihrauchgewölk, das über ihnen lag.
Eine
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