Gralszauber
Anhalten. Sir Lioness zügelte sein Pferd so abrupt,
als wäre er vor eine unsichtbare Wand geprallt, und wankte tatsächlich für einen kurzen Moment im Sattel, während
die übrigen Ritter zu Artus aufschlossen und sich zu einem
lockeren Kreis um ihn formierten. Wahrscheinlich war es
nicht wirklich so – aber Dulac hatte das Gefühl, dass sie
sich um den König stellten um ihn zu schützen. Aber wovor?
Als er an Sir Lioness vorbeiritt, warf er einen kurzen
Blick auf dessen Gesicht. Die Züge des Tafelritters schienen zu Stein erstarrt zu sein. »Häresie«, murmelte er. »Das
ist Häresie.«
Dulac hätte fast geantwortet, aber dann begriff er, dass
die Worte nicht ihm galten. Sir Lioness hatte seine Anwesenheit wahrscheinlich gar nicht bemerkt. Sein Blick war
starr auf den Steinkreis gerichtet, und was Dulac darin las,
das ließ ihn bis ins Innerste erschauern. Es war Furcht,
eine Furcht, der sich auch Dulac nicht gänzlich entziehen
konnte, denn der Steinkreis strahlte etwas unbeschreiblich
Finsteres und Abweisendes aus. Dulac senkte hastig den
Blick und beeilte sich an Artus’ Seite zu kommen, aber Sir
Lioness’ Blick blieb weiterhin vor seinen Augen.
Artus sah kurz zur Seite, als er Dulacs Näherkommen
registrierte, dann nickte er und stieg mit müde wirkenden
Bewegungen aus dem Sattel. Die anderen Ritter und auch
Dulac taten es ihm gleich, einzig Sir Lioness blieb reglos
und stocksteif aufgerichtet im Sattel.
Artus trat an das Packpferd heran und hob Dagdas in
Leinen gehüllten Körper aus dem Sattel. Sir Braiden wollte ihm helfen, aber Artus schüttelte fast zornig den Kopf
und drehte sich herum. Hoch aufgerichtet und scheinbar
ohne das Gewicht des toten Magiers auf seinen Armen zu
spüren, ging er auf den Steinkreis zu. Sir Braiden und die
anderen Ritter folgten ihm, nur Dulac machte einen einzelnen zögernden Schritt und blieb dann wieder stehen. Er
fragte sich, warum Artus ihn überhaupt mitgenommen
hatte. Sir Lioness war nicht der Einzige, der nicht hierher
gehörte.
»Worauf wartest du?«, fragte Artus.
»Ich … ich weiß nicht, Herr, ob … ob ich …«, stotterte
er.
»Ob du hierher gehörst?« Artus nickte. »Vielleicht mehr
als jeder andere. Es wäre Merlins Wunsch gewesen, dass
du ihn auf seinem letzten Weg begleitest.«
Er ging weiter ohne Dulacs Antwort abzuwarten.
Je näher sie dem Steinkreis kamen, desto unbehaglicher
wurde Dulac zu Mute. Es war nicht nur die Größe der tonnenschweren Menhire, die zu einem Kreis von gut zwanzig Schritten Durchmesser aufgestellt waren. Sie strahlten
eine spürbare Aura von Alter aus. In den schwarzen Granit
waren verschlungene Schriftzeichen und Symbole eingemeißelt, die ihn an jene erinnerten, die er in Malagon gesehen hatte, aber weitaus kunstvoller waren. Auch sie waren nur Kopien der Runen, die er auf dem Schwert und der
silbernen Rüstung gesehen hatte, aber statt grobe Imitationen zu sein, kamen sie ihren Vorbildern schon recht nahe.
Dulac nahm sich vor, Artus nach ihrer Bedeutung zu fragen, sobald das Zeremoniell vorüber war. Wenn es jemand
wusste, dann er.
Als sie näher kamen, erkannte er auch das Objekt im
Zentrum des Steinkreises. Es war ein gewaltiger, quaderförmiger Block, der aus demselben Material bestand wie
die Menhire, aber auf der Seite lag und so eine Art Altar
bildete. Auch er war mit Runen und unheimlichen Symbolen übersät, die sich im bleichen Licht des Mondes zu bewegen schienen.
Natürlich war das nicht möglich. Dulac versuchte den
Gedanken als lächerlich abzutun, aber ganz gelang es ihm
nicht. Je näher sie dem Steinkreis kamen, desto deutlicher
spürte er, dass da tatsächlich etwas war. Dieses uralte Heiligtum bestand aus mehr als Stein und uralten Schriftzeichen. Es war ein heiliger Ort, ein Ort, der eine Seele und
einen Geist und vielleicht auf seine ganz eigene Art sogar
ein Bewusstsein hatte.
Artus schritt langsam zwischen den gewaltigen Steinsäulen hindurch, näherte sich dem Altar und legte Dagda behutsam davor auf den Boden. Dann zog er sein Messer
und trennte mit einer raschen Bewegung das Leinentuch
auf, in das der Leichnam eingehüllt war.
Dulacs Herz zog sich schmerzhaft zusammen, als er
Dagda erblickte. Aber so grausam sein Tod gewesen war,
hatte er doch keine Spuren in seinem Gesicht hinterlassen.
Es wirkte entspannt und auf seinen Lippen schien sogar
die Andeutung eines Lächelns zu liegen. Wäre er nicht in
Dulacs Armen gestorben, hätte er erwartet, dass er
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