Gralszauber
seiner Stirn, als er erwachte. Jemand hatte ihm den
Helm abgenommen.
Lancelot öffnete die Augen und das Erste, was er sah,
war ein Paar wunderschöne Augen, die aus einem ebenmäßigen, sehr blassen Gesicht auf ihn herab blickten.
»Wie fühlt Ihr Euch?«, fragte Gwinneth. Ihre Stimme
war sehr leise und von der gleichen, ehrlich empfundenen
Sorge erfüllt, die er auch in ihren Augen las.
Ganz automatisch wollte er mit »gut« antworten, aber
dann wurde ihm selbst klar, wie närrisch das gewesen wäre. Außerdem erwachte in seiner Schulter ein pochender
Schmerz, der ihm nahezu die Tränen in die Augen trieb.
Statt zu antworten fragte er: »Uther?«
Gwinneths Gesicht umwölkte sich. »Er … er ist tot«,
sagte sie stockend. »Mordreds Pfeil hat ihn direkt ins Herz
getroffen. Aber macht Euch keine Vorwürfe, Sir Lancelot.
Es war nicht Eure Schuld. Ihr seid der tapferste Mann, den
ich je getroffen habe, doch selbst die größte Tapferkeit
muss gegen schwarze Magie versagen.«
Lancelot sah mit wachsender Verwirrung zu Gwinneth
hoch. Wieso sprach sie so mit ihm? Als sie ihm den Helm
abgenommen hatte, musste sie ihn doch erkannt haben!
Spielte sie ein grausames Spiel mit ihm? Das konnte er
sich nicht vorstellen. Nicht nach dem, was gerade geschehen war!
Sehr behutsam, damit der Schmerz in seiner Schulter
nicht noch schlimmer wurde, richtete er sich auf und sah
sich um. Uther lag wenige Meter neben ihm auf dem Rükken.
Jemand – wahrscheinlich Gwinneth – hatte eine Satteldecke über sein Gesicht gelegt. Die beiden Pferde grasten
friedlich nebeneinander, während das Einhorn ein gutes
Stück entfernt dastand und aufmerksam in ihre Richtung
sah. Von Morgaine le Faye und Mordred war nichts mehr
zusehen.
»Sie sind fort«, sagte Gwinneth. Sie hatte seinen Blick
bemerkt und richtig gedeutet. Sie zögerte. »Sie … hat
noch etwas zu mir gesagt, bevor sie ging.«
»Und was?«, fragte Lancelot, als sie nicht sofort weitersprach.
Er konnte Gwinneth ansehen, wie schwer es ihr fiel, seine Frage zu beantworten. »Ich soll Euch etwas ausrichten.
Sie sagt, Ihr … Ihr sollt Eurem Herzen folgen. Dann würdet Ihr schon den Weg auf die richtige Seite finden.«
Lancelot dachte einen Moment über diese Worte nach,
aber sie ergaben einfach keinen Sinn. Nicht, wenn sie aus
Morgaines Mund kamen.
Mit einiger Mühe stand er auf, hob den Schild auf, den
er fallen gelassen hatte, und winkte das Einhorn herbei. Er
konnte hören, wie sich Gwinneth hinter ihm bewegte, und
gewann noch einige Sekunden damit, den Schild umständlich und mit nur einer Hand am Sattelgurt zu befestigen.
Er verstand immer noch nicht, warum Gwinneth so tat, als
ob sie ihn noch nie gesehen hätte. Konnte es an der Rüstung liegen, die er trug? Natürlich hatte sie ihn erkannt,
aber vielleicht glaubte sie ja umgekehrt, dass er sich mit
ihr ein Spiel erlaubt hatte, als sie sich in Camelot begegnet
waren.
Er würde der Sache ein Ende bereiten, jetzt gleich. Er
drehte sich mit einem Ruck herum und verzog das Gesicht, als seine Schulter mit einer kleinen Schmerzexplosion auf die unvorsichtige Bewegung reagierte.
»Gwinneth«, sagte er. »Ich muss Euch etwas erklären.«
Gwinneth sah ihn erwartungsvoll an. »Ja?«
»In Camelot«, begann er. »Als wir uns dort getroffen
haben, da wusste ich noch nicht –«
Er brach ab, als er den Ausdruck völliger Verständnislosigkeit sah, der sich auf Gwinneths Gesicht ausbreitete.
»In … Camelot?«, wiederholte sie zögernd. »Ihr … Ihr
meint in diesem Gasthaus? Dem Schwarzen Eber .«
Diesmal war es Lancelot, der mit der Antwort zögerte.
Der Ausdruck auf Gwinneths Gesicht war nicht gespielt.
Sie erkannte ihn tatsächlich nicht!
»Schon gut«, sagte er verwirrt. »Verzeiht. Ich bin … ein
wenig durcheinander.« Er deutete auf den toten Uther. »Es
tut mir Leid, aber wir haben wenig Zeit. Dass Morgaine
gegangen ist, bedeutet nicht, dass die Pikten nicht wiederkommen. Könnt Ihr mir helfen, ihn auf das Pferd zu heben?«
Er deutete auf seine verletzte Schulter und Gwinneth
nickte. Mit vereinten Kräften hoben sie den Leichnam des
töten Königs auf sein Pferd, dann stiegen sie selbst auf
und ritten in südlicher Richtung los.
Für eine lange Zeit sprach keiner von ihnen ein Wort.
Lancelot maß Gwinneth dann und wann mit einem verstohlenen Blick. Die meiste Zeit starrte sie mit leeren Augen vor sich hin, aber manchmal strich ihre Hand fast zärtlich über den Hals des Pferdes, auf dem ihr toter
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