Granatapfel
Störenfried schwierige Aufgaben mit auf seinen Lebensweg gab. Der Granatapfel war stets das Zuhause dieser Personen, das sich durch das Öffnen der Frucht oder das Brechen vom Baum offenbarte und die Figur von ihrem Zauber erlöste. In manchen Märchen lag im Granatapfel auch der Schlüssel zur weiteren Vorgehensweise. Wie die drei Nüsse im Märchen vom Aschenbrödel waren es stets drei Granatäpfel, die sich in helfende Gegenstände oder Situationen verwandelten. Fast immer ging es um Prinzen und Prinzessinnen, Könige und Königinnen – oder um weise Frauen.
Mit großen Augen und offenem Herzen lauschte ich den zahlreichen Geschichten, die oftmals aus dem persischen Kulturschatz stammten, und versprach mir, eines Tages einen Granatapfel zu probieren. Doch die Zeit verging und ich vergaß mein Versprechen. Einzig eine Kette und Ohrringe aus Granaten erinnerten mich als Jugendliche daran, dass ich mich mit dem Geheimnis des Granatapfels vertraut machen wollte.
Das Internet war noch nicht erfunden und auf den Märkten gab es immer noch allzu selten exotische Früchte. So konnte ich mir weder einen Granatapfel kaufen noch mir im Internet einen Film über die Verwendung des Granatapfels ansehen. Es verstrichen also weitere Jahre, bis in unserem kleinen Wohnort endlich ein italienischer und ein türkischer Gemüsehändler ihre Läden öffneten.
Und dann sah ich sie daliegen. Es war an einem düsteren und grauen Novembertag, als ich sie in der Auslage vor dem Geschäft entdeckte. Ein kleines Vordach schützte die Obst- und Gemüsesorten vor dem peitschenden Schneeregen, und ich eilte mit hastigen Schritten und eingezogenen Schultern auf den Eingang zu. An den Krönchen erkannte ich sie. Sie schienen mir zuzulächeln mit ihren prallen Pausbäckchen. Sie luden mich ein, sie endlich zu kaufen und zu kosten. Wie riesig sie waren! Ich hatte mir Granatäpfel immer viel kleiner vorgestellt. Aber diese Exemplare waren schön rund, gesund und groß. Drei Stück ließ ich mir geben. Drei Stück, wie im Märchen.
Zuhause legte ich sie auf einen sauberen Keramikteller und strich zärtlich mit den Fingern über die glänzende Schale. Ich wusste zuerst nicht, wie ich die Granatäpfel öffnen sollte und was mich erwarten würde. Die Illustrationen aus meinen Kinderbüchern fielen mir wieder ein, aber ich konnte mich nicht mehr daran erinnern, ob je das Innere eines Granatapfels abgebildet worden war.
Noch wollte ich sie nicht öffnen. Ich ließ die Granatäpfel auf dem Teller liegen und stellte das Ensemble auf den Esstisch. Die Früchte zierten den Novembertisch sehr schön und unterstrichen die herbstliche Stimmung wie so viele andere Herbst- und Winterfrüchte auch.
Doch als die Kinder zum Essen nach Hause kamen und neugierig die Finger nach den Granatäpfeln ausstreckten, wollten wir es wagen. Mit einem scharfen Messer schnitt ich einen der Granatäpfel auf. Die Schale war erstaunlich hart und stabil. Ich brauchte ordentlich Kraft!
Wie ein Stern lag dann das Innere der Frucht vor uns. Ein rötlicher Saft lief über meine Finger, der hinterher deutliche Flecken auf meiner Haut hinterließ.
Viele kleine, saftig rote Fruchtsamen offenbarten sich uns nun. Ich packte je eine Hälfte und brach die harte Schale vollends auf.
Gierig rissen mir die Kinder die roten »Perlen« aus den Händen, die auf das Schneidebrett quollen, und steckten sie in den Mund.
Sofort verzogen sie ihre kleinen Gesichter! Sauer – bitter – herb! Igitt!
Der Granatapfel schmeckte nur einem meiner Kinder, nämlich demjenigen, das sowieso auch gerne an Zitronenscheiben lutschte und den säuerlichen Geschmack als lustig empfand. Für die anderen war das Thema Granatapfel zunächst einmal erledigt.
Nun musste ich es selbst wissen und steckte ebenfalls einige der »Perlen« in den Mund. Und tatsächlich: Ich musste den Kindern Recht geben, zumal wir auch von der schützenden gelblichen Haut abbekommen hatten. Diese gelblichen Fasern schmeckten eindeutig bitter. Der rote Kern an sich hinterließ aber einen angenehmsäuerlich-herben Geschmack, den ich sehr mochte. Dass es gerade auch die Bitterkeit ist, die den Granatapfel unverwechselbar und vor allem zu einer gesunden Powerfrucht macht, wusste ich damals noch nicht.
Ich überredete die Kinder, noch nicht aufzugeben, und schälte mit ihnen die roten Kerne gänzlich heraus. Von den Fasern blieb nichts mehr übrig. Nun konnten wir alle den Granatapfel genießen. Doch wirkliche Begeisterung kam bei den
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