Grandios gescheitert
kluges, straffes Baumanagement, das den Überblick behielt.
Zunächst baute man den Abschnitt, der den Übergang zwischen Querhaus und Chorumgang markiert, also den Ostteil des Querhauses und den Westteil des Chores. Wenn man diese Gebäudeteile in der Kirche abläuft, erweisen sie sich als sehr kleiner Teil selbst der unfertigen Kathedrale. Hier hatte im romanischen Altbau der Brand gewütet, hier hatte man die Reste abgetragen und errichtete nun ein Mittelstück neu, während auf beiden Seiten Langhaus und Chor des Altbaus vorerst intakt blieben. Auf beiden Seiten des alten Chores machten sich zwei verschiedene Bautrupps an die Arbeit – auf der stadtzugewandten Südseite das emsigere Team –, offenbar ohne dass eine fähige Bauleitung den Überblick behalten hätte, um sicherzugehen, dass aus solcher Arbeitsteilung nicht Probleme entstehen würden. Denn dass hier nicht identisch und abgestimmt gebaut wurde, sollte sich später als ein Schwachpunkt erweisen. Mehr Zeit blieb Milon nicht, denn bereits sieben Jahre nach dem Baubeschluss verlor er sein Amt als Bischof von Beauvais.
Inzwischen war nämlich Ludwig VIII. gestorben und sein Sohn, ein zwölfjähriger Knabe, ihm auf den französischen Thron gefolgt: König Ludwig IX., später mit dem Beinamen »der Heilige« versehen. Einstweilen übernahm seine spanische Mutter die Regentschaft, Blanca von Kastilien. Mit der geriet Milon alsbald heftig aneinander und provozierte damit das Eingreifen der Krone in stadtinterne Streitigkeiten des Bischofs mit seiner Bürgerschaft. Milon stellte einigermaßen selbstherrlich und wagemutig in Frage, als Bischof dem König Gehorsam zu schulden, wo er doch allein dem Papst unterstehe. Dieses Thema war ein Dauerbrenner im Mittelalter – noch viel mehr als in Frankreich im Heiligen Römischen Reich, wo die Kaiser immer wieder mit ihren Bischöfen und dem Papst aneinandergerieten. Man sprach von einem weltlichen und einem geistlichen Schwert – aber wenn die Päpste gerade mächtig genug und nicht auf den Schutz des Kaisers angewiesen waren, ließen sie schon mal verlautbaren, das weltliche Schwert stehe zwar dem Kaiser oder König zu, er bekomme es aber vom Papst als Vertreter Gottes auf Erden und der sei stets eine Nummer größer.
Mit dieser Kühnheit übernahm sich Bischof Milon jedoch, denn der französische König verfügte längst über mehr Macht im Land als die Kirche und ließ sie das auch spüren. Noch dazu hatte Milon in den Chor derer eingestimmt, die der Regentin und Königsmutter Blanca ihre Macht neideten, ein Verhältnis mit dem päpstlichen Legaten anhängten, und ihr sogar eine daraus resultierende Schwangerschaft unterstellten. Vermutlich passte dem stolzen Bischof nicht, dass er den Einfluss verloren hatte, den er auf den verstorbenen König noch hatte ausüben können. Vielleicht hatte er gehofft, über solchen Einfluss auch bei dem halbwüchsigen Sohn seines königlichen Gönners zu verfügen.
Brenzlig wurde es, als zu den bischöflichen Ausfällen gegenüber der Regentin innerstädtische Streitereien traten. Sie hatten mit Vorwürfen zu tun, der Bischof benachteilige die reicheren Bürger zugunsten derjenigen, die man heute als Mittelklasse bezeichnen würde, und eskalierten in einem Konflikt um den Posten des Bürgermeisters. Eine Abwesenheit des Bischofs machte sich die Krone zunutze und setzte kurzerhand einen eigenen Kandidaten ein. Es kam zu blutigen Kämpfen, die den jungen König veranlassten, über die Beschuldigten Gericht zu sitzen, obwohl das eigentlich in die Zuständigkeit des Bischofs fiel. Mehr noch, der König setzte Milon ab und konfiszierte seinen weltlichen Besitz. Nicht zuletzt weil es ums Prinzip ging, nämlich um althergebrachte Rechte der Kirche, deren Beschneidung nicht hinnehmbar war, erhielt Milon Unterstützung durch seine Bischofskollegen und sogar durch den Papst. Mehrere regionale Konzile behandelten den Fall, doch der König blieb hart und konnte sich langfristig durchsetzen. Da half auch der päpstliche Einfluss nicht mehr viel, denn der Heilige Stuhl war wegen wichtigerer Dinge der großen europäischen Machtpolitik, nämlich dem Ringen mit dem Kaiser, auf den französischen König angewiesen. Außerdem gelang es Ludwig, die Einheitsfront der französischen Kirche aufzuweichen. Milon und die bischöflichen Rechte waren also ein Bauernopfer, und der abgesetzte Bischof starb 1234 auf dem Weg nach Rom, noch immer um sein Amt kämpfend.
Baustopp aus Machtverlust
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