Grandios gescheitert
Wassermenge zauberte Turriano vom Tajo in die Stadt. Plansoll übererfüllt.
Deshalb und weil das artificio del agua nahezu geräuschlos und ohne großen Wasserverlust auf dem Weg nach oben arbeitete, wurde es von Zeitgenossen überschwänglich als »sensationell« gefeiert. Nun endlich hatten die bedauernswerten Maultiere, die, von den Stockhieben der Wasserträger angetrieben, all das kostbare Nass nach oben befördern mussten, ausgedient. An die 300 von ihnen sollen nur für den Zweck des Wassertransports gehalten worden sein, angesichts von Pflege und Futterbedarf kein kleiner Kostenfaktor. Allen war geholfen, oder etwa nicht?
Wäre dem so gewesen, verdiente die Wasserkunst von Toledo nicht die Aufnahme in diese Sammlung gescheiterter Projekte. Im vorliegenden Fall lag das Scheitern jedoch nicht in einer dysfunktionalen Konstruktion, einem Versagen des Ingenieurs oder einer schlichtweg unnützen oder überdimensionierten Erfindung. Turriano scheiterte am kleinkrämerischen Widerstand der Toledaner, an ihrer Ignoranz gegenüber der genialen Innovation für ihre städtische Infrastruktur. Und er scheiterte ganz insgesamt an den veränderten Verhältnissen in Toledo, den Problemen einer Stadt in der Krise und dem städtischen Widerstand gegen die Kosten königlicher Flausen.
Hohn und Spott für den Erfinder
»Juanelo ist ein Flame und folglich ein Trunkenbold. Er trinkt alles außer Wasser. Das Wasser verabscheut und verachtet er. In jüngster Zeit hasst er es sogar. Jetzt ist sein Zorn auf das Wasser so weit gestiegen, dass er angefangen hat, es zu quälen. Weil das Wasser sich nicht mehr von Juanelo quälen lassen will, läuft es in seiner Verzweiflung bergan. Das ist die ganze Kunst des Flamen.«
Diese Verhöhnung eines Zeitgenossen geht so an der Sache vorbei, dass dahinter nur eine handfeste Kampagne stecken kann, bei der die Wahl der Mittel nebensächlich ist. Da man Turriano schlecht Versagen vorwerfen konnte, denunzierte man ihn als trunksüchtigen Ausländer und zog ins Lächerliche, was seine Mechanik zu leisten vermochte. Der Autor dieses Pamphlets verfocht die Sache der Toledaner, die dem Lombarden und seinem Werk zürnten. Ihnen ging es nicht um das Wohl der Maultiere oder die geniale technische Lösung eines Problems, sondern ums Geld sowie die Vorschreibungen der Krone. Die Toledaner scherte offenbar nicht, dass ein schon zu Lebzeiten europaweit berühmter Ingenieur ihrer Stadt einen großen Dienst geleistet hatte, sondern sie verteufelten das teure Konstrukt, dessen Nutzen als Infrastrukturmaßnahme sie nicht erkennen wollten oder konnten. Da half es wenig, dass ihre Stadt ein landauf, landab gerühmtes Werk der Ingenieurskunst beherbergte. Sie verhielten sich nicht nur unwillig, sondern destruktiv. Bereits während der Bauarbeiten hatte die städtische Bürokratie den Ingenieur nach Kräften behindert, der um das bewilligte Material kämpfen und zähneknirschend zusehen musste, wie der Wachschutz abgezogen wurde. Prompt gab es Sabotage auf der Baustelle, Unrat und Fäkalien landeten dort, verhöhnten so das Unternehmen und schädigten das Bauholz. Bereits jetzt wurden Stimmen vernommen, die die Qualität des so beförderten Wassers in Zweifel zogen. Doch Turriano ließ sich nicht beirren, sondern arbeitete tapfer weiter, wohl im Vertrauen, das Ergebnis werde seine Kritiker mühelos überzeugen.
Aber nicht nur machten die Toledaner dem Meister der Wasserkunst die Arbeit an seinem Werk schwer – sie weigerten sich außerdem, ihren Teil des Geschäfts zu erfüllen. Der König war nicht mehr vor Ort, und so witterte Toledo die Chance, aus der teuren, ungeliebten Verpflichtung wieder herauszukommen. Jetzt rächte sich, dass die Stadt vom König genötigt worden war, den Vertrag abzuschließen. Denn Toledo hatte andere Sorgen als diese Infrastrukturmaßnahme, die noch dazu vornehmlich den königlichen Gärten des Alcázars zugutekam, wie man nicht müde wurde zu betonen.
Für Toledo waren inzwischen nämlich dramatische Veränderungen eingetreten. Die jahrhundertelange Blüte der Stadt hatte ein Ende gefunden, man war unübersehbar im Niedergang begriffen. Das hatte nicht zuletzt mit der königlichen Politik zu tun. Insgesamt waren die ersten gesamtspanischen Könige, Karl I. sowie sein Sohn Philipp, in Spanien nicht uneingeschränkt beliebt. Als aufgrund dynastischer Heiratspolitik und zahlreicher Todesfälle unter den spanischen Thronfolgekandidaten 1516 mit Karl ein Habsburger König wurde,
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