Grandios gescheitert
weit oben auf dem Bergfelsen, zum anderen stand schon vom Rang her zunächst dem König das nach oben beförderte Wasser zu. Im Versuch, ihre Felle zu retten, mögen die Wasserträger, deren Existenz die Wasserkunst von Toledo bedrohte, den Widerstand gegen die Verbesserung der städtischen Infrastruktur forciert haben. Die immer wieder beobachtete Sabotage und die mangelnde Pflege der Anlage könnten ein Ausdruck von Hilflosigkeit gewesen sein, die das stolze Toledo angesichts des rapiden Niedergangs verspürte. Welchen Nutzen sollte man in einem Bauwerk erkennen, das gleichzeitig Geld kostete und Arbeitsplätze vernichtete, noch dazu in einer Stadt, die sich mit ihren massiven wirtschaftlichen und sozialen Problemen alleingelassen fühlte?
Turriano hatte den König weiterhin auf seiner Seite, außerdem verwandten sich die Beauftragten der Krone für ihn. Erreicht wurde schließlich ein Vergleich, der vorderhand salomonisch wirkt: Philipp übernahm die Bezahlung Turrianos, drehte aber den Bürgern das Wasser kurzerhand ganz ab. Die Stadt beauftragte, vermutlich abermals auf Drängen des Königs, Turriano mit einer zweiten Wasserkunst, deren Kosten sie übernehmen wollte, weil sie auch allein davon profitieren sollte. 1581 war diese zweite Arbeit vollendet, aber die Stadt zahlte abermals nicht. Der König hatte das Problem nur vertagt, nicht gelöst, und vermochte auch jetzt nicht, seinem Mechaniker zu seinem Recht zu verhelfen.
In den 1580er-Jahren wurden Toledos wirtschaftliche und soziale Probleme aber immer größer. Die Rezession verschärfte sich, nachdem zuvor die Bevölkerung Kastiliens stark zugenommen hatte. Das dicht besiedelte Land erlebte eine Stadtflucht, mit der das angezählte Toledo nur unter größter Anstrengung fertig wurde. Angesichts der städtischen Aufwendungen für die Armenfürsorge besaß eine moderne, bequeme Wasserversorgung keine Priorität.
Inzwischen betagt geworden, hätte Turriano verdient, endlich entsprechend seinen Fähigkeiten und beachtlichen Leistungen einen wohlsituierten Lebensabend verbringen zu können. Stattdessen vergällten ihm bittere Armut und der Streit ums Geld die verbliebenen Lebensjahre. An den König schrieb er: »Ich fürchte, es wird kein Geld geben, um mich zu beerdigen.« Da er sich aus Geldnot schließlich auch von den beiden Wasserkünsten trennen musste, schrieb er abermals an Philipp: »Ich habe den größten Teil meines Lebens damit verbracht, dem Kaiser, unserem Herrn, und Eurer Majestät zu dienen, und in Eurem Auftrag habe ich jene Anlagen erfunden. Es erscheint mir daher nicht gerecht, dass etwas von derartiger Größe in anderen als in Euren Händen bleiben soll. Deshalb komme ich, um Euch die meinige anzubieten, damit Ihr Euch beider Anlagen bedienen könnt. Eure Majestät kennt mein Alter und meine Not, und weil die Stadt Toledo nicht einhielt, was mit mir vereinbart wurde, bin ich solchermaßen arm, dass ich weder meine Schulden tilgen, noch meinen drei verwaisten Enkelinnen, die ich verheiratet habe, die Mitgift aushändigen, noch für die anderen mir verbleibenden Enkelinnen dieser Pflicht nachkommen kann …«
Das war kurz vor Turrianos Tod am 13. Juni 1585 in Toledo. Er wurde in der Kirche des Klosters Carmen beigesetzt – »ohne die Begleitung, die er verdient hätte, als ein König in allen Dingen, an denen er Hand anlegte oder für die er seinen scharfen Verstand einsetzte«, wie Esteban de Garibay berichtete, der dem Sarg folgte.
Turrianos Tochter Barbara Medea bat im Jahr darauf den König um Hilfe und verwies auf den ihm übersandten Nachlass ihres Vaters. Philipp bewilligte ihr daraufhin 6.000 Dukaten. Für die Nachkommen seines Mechanikers fühlte sich der König also verantwortlich, aber der Fortbestand der Wasserkunst von Toledo war alles andere als gesichert. Die Stadt missachtete nicht nur die vertraglichen Verpflichtungen gegenüber dem Erbauer, sondern auch die Anlage an sich, die wie gewohnt stiefmütterlich behandelt wurde. Man hatte weiterhin mit Krisen zu kämpfen, ob Missernten oder Hunger, ob Heuschreckenplage oder Pest.
Nur war das System der Wasserkunst ebenso ausgeklügelt wie kompliziert und verlangte nach sachkundiger Wartung. Dafür war der Ingenieur ja auch nach Fertigstellung des Auftrages verpflichtet worden – und seinem Teil der Vereinbarung kam er sogar posthum noch nach. Sein Enkel war in der Lage, die Wasserkunst zu warten und instandzuhalten. Einige Jahrzehnte nach Turrianos Tod schaufelte seine
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