Grandios gescheitert
Mittelmeers. 1885 in Regensburg geboren, studierte er seit 1904 an der Technischen Hochschule München Architektur und trat 1908 in staatliche Dienste. Darin folgte er seinem Vater, der sich als Ingenieur zum obersten bayrischen Baubeamten hochgearbeitet hatte. Seinem Vater verdankte er auch das Interesse an Wasserkraftprojekten, das er mit seiner Begeisterung für hochfahrende, monumentale Architektur sowie Projekte großen Maßstabs und weltanschaulicher Dimension verband – aus dieser Mischung entstand »Atlantropa«.
Wenig verwunderlich, dass ein Mann mit solchen »Flausen« in einer Staatsverwaltung eher fehl am Platze war. Noch in seinem Nachruf hieß es, Herman Sörgel sei einer jener »schöpferischen Geister (gewesen), die sich durch die Kraft ihrer eigenen Gedanken aus einer glänzenden bürgerlichen Laufbahn werfen«. Weder in der Bauverwaltung noch als Lehrer an der Bamberger Meisterschule für Bauhandwerker sah sich Sörgel aufgehoben, er strebte nach Höherem, Größerem, Spektakulärem. Da aber seine beiden Doktorarbeiten von der TU München aus nicht mehr nachvollziehbaren Gründen abgelehnt wurden, blieb ihm eine akademische Karriere, die mit sehr viel mehr Freiraum verbunden gewesen wäre, versperrt. Verletzte Eitelkeit nach solcher beruflichen Zurückweisung darf man wohl zu den Beweggründen zählen, die Herman Sörgel all seinen Schaffensdrang, all seine Energie auf ein Projekt konzentrieren ließen, mit dem er sich voll und ganz identifizierte.
Moderne als Lebensgefühl
1914 ging Sörgel zurück nach München und machte sich als Architekt, Publizist und Journalist selbstständig, bereiste 1925 die Vereinigten Staaten und heiratete im Jahr darauf. Im München der Nachkriegszeit war er der klassische, schwärmerisch-intellektuelle Freigeist dieser Epoche und verkehrte in den Kreisen der Schwabinger Künstlerboheme. Er gehörte zu jener Generation, die noch das alte Europa vor 1914 und seinen Untergang im Ersten Weltkrieg erlebt und daraus ihre Lehre gezogen hatte: kein Zurück ins Alte, kein solcher Krieg mehr, der einen daniederliegenden Kontinent zurückgelassen hatte – stattdessen mit Zuversicht und Tatendrang, aber auch einiger Überheblichkeit der entschiedene Aufbruch in eine lichte Moderne. Herman Sörgel besaß daneben einen Hang zu Esoterik, verkehrte mit Lebensreformern und Theosophen und vertrat in Abgrenzung zur verbreiteten Deutschtümelei einen kulturellen Universalismus. Von der Politik hielt er sich fern, war aber Unterstützer der Weimarer Republik und stand der Paneuropa-Idee jener Zeit nahe, Vorläufer des europäischen Einigungsprozesses nach dem Zweiten Weltkrieg. Sein Projekt taufte er denn auch zunächst Panropa, änderte den Namen aber, um nicht zu sehr nach Paneuropa zu klingen.
Als Architekt gehörte Sörgel zur Generation von Le Corbusier und Mies van der Rohe, Walter Gropius und Bruno Taut. In einem frühen Entwurf schlug er für München vor, mit einem Ring von (vorhandenen) Kirchen und (neu zu bauenden) Hochhäusern mit den Türmen der Frauenkirche als Zentrum die Stadt auf modernistischen Kurs zu bringen. Der Mann besaß Visionen und war selbstsicher und effektorientiert genug, um sie auch mit Vehemenz zu vertreten. Er forderte »Vorurteilslosigkeit, das offene Bekenntnis zur Zeit, der Mut zum Neuen«, wie er es beispielsweise in Amsterdam erkannte. Nur ließ man ihn nicht machen: Weder zeigte sich München so innovativ orientiert und mutig, die Ideen umzusetzen, noch waren die deutschen Verhältnisse danach. Die junge Republik erholte sich nur sehr allmählich von den Folgen des Ersten Weltkriegs und des Versailler Vertrags, erlebte immer wieder Rückschläge wie die Inflation 1923 oder die Weltwirtschaftskrise 1929, erwies sich bei aller freiheitlich-demokratischen Ausrichtung der Verfassung als politisch instabil – und ging bereits 1933 mit der Machtübernahme der Nationalsozialisten wieder unter. Die Goldenen Zwanziger waren für ihr Jahrzehnt alles andere als repräsentativ, wenn auch so glanzvoll, dass sie bis heute gern als Charakteristikum der Epoche angesehen werden.
Das Europa der Zwischenkriegsjahre war angesichts der wirtschaftlichen Schwierigkeiten und der politischen, gesellschaftlichen und intellektuellen Radikalisierung von Verunsicherung geprägt, aber ebenso von kontroversen Debatten um die Marschrichtung. Welchen Weg sollte die junge Republik, ja Europa überhaupt einschlagen: den einer bedingungslosen Modernisierung nach US-Vorbild oder
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