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Grandios gescheitert

Grandios gescheitert

Titel: Grandios gescheitert Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Bernd Ingmar Gutberlet
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aus dem Atlantik zu unterbinden. Der ersten Planung zufolge sollte das Meer um 500 Meter abgesenkt werden, was Sörgel bald schon zugunsten einer geringeren Absenkung von 100 Metern im westlichen und 200 Metern im östlichen Mittelmeer abmilderte. In einem großen Bogen, entlang der geringsten Meerestiefen, sollte sich der Gibraltardamm 20 Kilometer westlich vor der Meerenge von Gibraltar von Spanien nach Marokko ziehen und den Wasserzufluss ins Mittelmeer begrenzen und kontrollieren. Das Fundament des Dammes sollte 1.600 Meter stark sein, die Dammkrone immerhin noch 100 Meter breit – mehrere Kubikkilometer Baumaterial sollten dafür aufgeschüttet werden. Für den ungeheuren Materialbedarf wäre unter anderem ein Stück der spanischen Costa de la Luz mitsamt der Stadt Tarifa vom Erdboden verschwunden. Ein Kanal sollte das Wasser vom Atlantik zum eigentlichen Kraftwerk an beiden Seiten des Gibraltardamms führen. Auf europäischer Seite, im größten Kraftwerk der Welt von vier Kilometer Länge, würden riesige Turbinen Strom produzieren.
    Nicht minder gewaltige Schleusen sollten entstehen, um den Schiffsverkehr zum Atlantik hin aufrechtzuerhalten. Und um den Superlativen einen weiteren hinzuzufügen: Als ein Symbol des kühnen Menschheitsprojekts Atlantropa sollte ebendort, am Gibraltardamm, das höchste Haus der Welt entstehen: 400 Meter hoch, gebaut aus Stahl und Glas, unter dem die riesigen Ozeandampfer hätten hindurchfahren können. Seit 1930 wuchs in New York das Empire State Building in die Höhe, bis Anfang der Siebzigerjahre höchstes Gebäude der Welt, dem das Hochhaus über dem Gibraltardamm aber frühzeitig Konkurrenz gemacht hätte. Wie in New York hätten Touristen die Aussichtsplattform besteigen können, zu Füßen statt einer eindrucksvollen Stadtlandschaft die nicht minder eindrucksvollen Anlagen des Gibraltardamms und in Richtung Westen die Weiten des Atlantiks. Ein Tourismuszentrum nahebei sollte den zu erwartenden Ansturm bewältigen. Gleichzeitig sollten militärische Anlagen auf dem Wolkenkratzer das Bauwerk ebenso schützen wie ein vorgelagerter, mit Forts ausgestatteter Schutzdamm, denn für den Kriegsfall hätte sich der neue Kontinent namens Atlantropa mit dem Projekt eine verletzliche Flanke geschaffen: Bei einer Zerstörung des Dammes wären die zuvor abgewehrten Wassermassen des Atlantiks wieder unkontrolliert hereingeströmt und hätten das dem Meer Abgerungene vernichtet.
    Für die südliche, afrikanische Seite des Gibraltardamms waren Überfallkaskaden geplant, mit denen der Zulauf aus dem Atlantik geregelt wurde. Die geplante Autobahn über den Damm hätten die Touristen zweifellos genutzt, um diese bis zu zwei Kilometer breiten Kaskaden zu bestaunen, die die berühmten Niagarafälle in den Schatten stellen sollten. Die Anlage eines Atlantropa-Nationalparks war geplant, in dem die verschiedenen Landschaften des Mittelmeerraums einen Platz finden sollten. Für die Errichtung des Gibraltardamms veranschlagte Sörgel zehn Jahre Bauzeit.
    Ein sehr viel kleinerer Damm bei den Dardanellen im Osten, nahe der türkischen Stadt Çanakkale, sollte dem Zustrom aus dem Schwarzen Meer Einhalt gebieten. Allerdings musste dafür gesorgt werden, dass die Zuflüsse des Schwarzen Meeres, darunter Donau und Dnepr, mit ihren riesigen Wassermengen dort das Wasser nicht über die Ufer treten ließen. Dafür sollte ein Kanal quer durch die Halbinsel Gallipoli sorgen, über den auch Schiffe aus dem Schwarzen über das Marmarameer in die Ägäis gelangen konnten. Ein weiteres gewaltiges Wasserkraftwerk sollte dort Strom produzieren.

Zwei Jahrhunderte abwarten
    Danach hieß es mit einigem Langmut abwarten: Wenn das Mittelmeer nicht mehr von außen mit Wasser versorgt wurde, verdunstete auf natürliche Weise mehr Wasser, als Flüsse und Regen wieder einbrachten: Der Meeresspiegel würde ganz allmählich sinken, bei Unterbindung allen Zuflusses pro Jahr sogar um geschätzte 1,65 Meter. Sörgel kalkulierte mit 80 Zentimetern jährlich, um schon in einer frühen Bauphase mit dem gebändigten Zufluss aus dem Atlantik das Gibraltarkraftwerk hochfahren zu können. Weil der westliche Teil des Mittelmeeres um 100 Meter, der östliche Teil aber um 200 Meter abgesenkt werden sollte, war ein weiterer Damm nötig: von Süditalien über Sizilien nach Tunis. Für diesen 66 Kilometer langen Tunisdamm war das zweitgrößte Kraftwerk Atlantropas vorgesehen. Insgesamt sollten drei Haupt- und weitere Nebenkraftwerke eine

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