Grandios gescheitert
Lehrbücher setzte ein. Mittels Arbeiterkorrespondenz auf Esperanto sollten Interessierte in aller Welt über die Entwicklung in der Sowjetunion auf dem Laufenden gehalten werden.
Doch die Blüte währte nur einige Jahre, dann folgte ein langsamer Niedergang. Denn allzu frei durfte es in den Esperanto-Briefen schon bald nicht mehr zugehen, sie sollten vielmehr stets im Sinne der Partei die sozialistischen Errungenschaften preisen. Auch andere autoritäre Regime, so in Spanien, Portugal oder Ostasien, begegneten der grenzüberschreitenden Kommunikation mittels Esperanto mit Misstrauen. Schließlich setzte der Stalinismus der sowjetischen Esperanto-Bewegung ein Ende. In den Jahren des Großen Terrors wurden ab 1937 zahlreiche Esperantisten verhaftet, ermordet oder in die sibirische Verbannung geschickt. Man warf ihnen vor, unter der Tarnorganisation der Esperantisten »aktives Mitglied einer internationalen Spionageorganisation« zu sein. Nicht zuletzt ihre Auslandskontakte wurden ihnen zum Verhängnis – alles Internationale war suspekt, sofern es nicht von Partei und Staat organisiert und überwacht wurde. Harmlosen Briefmarkensammlern erging es übrigens ähnlich.
Nach Kriegsende 1945 erfüllte sich in den osteuropäischen Staaten die Hoffnung nicht, Esperanto werde einen neuen Aufschwung erleben. Kalter Krieg und Stalinismus führten abermals zu Repression und Verdächtigung. In der DDR wurden 1949 alle Esperanto-Zirkel aufgelöst. In Rumänien wurde der Esperanto-Verband nach dem Krieg nicht einmal mehr wieder gegründet, in Bulgarien konnte ein geplanter Esperanto-Kongress nicht stattfinden. Ungarns Esperantisten erlebten eine kurze Phase der Hoffnung, aber dann setzten auch hier Schikanen und Verunglimpfungen ein. 1950 fand die ungarische Bewegung für Jahrzehnte ein Ende, 1952 folgte die Auflösung des tschechoslowakischen Verbandes. Selbst im Heimatland ihres Begründers, in Polen, verblieb ihnen nur ein winziger Spielraum. Diese Eiszeit endete erst 1953 mit dem Tod Stalins; im Jahr darauf erfuhren die Esperantisten in aller Welt außerdem die wichtige Wertschätzung der UNESCO, welche die Verdienste der Plansprache für die Völkerverständigung würdigte. 1959 schließlich konnte in Zamenhofs Geburtsland der 44. Esperanto-Weltkongress stattfinden.
Ein Scheitern in Größe
Seit dem Ende des Kalten Krieges ist die Arbeit für die vielen Esperanto-Organisationen bedeutend einfacher geworden. Kommunikation und Zusammenarbeit wurden durch die politische Entspannung erleichtert und schließlich durch die neuen Medien ungemein befördert. Trotzdem erlebte Esperanto seit 1989 nicht den Boom, den die Freude über fallende Grenzen und die Hoffnung auf eine einzige, friedlichere Weltgemeinschaft vermuten ließen. Nach dem Ende der Ost-West-Teilung der Welt wurde die Völkerverständigung keineswegs grenzenlos. Gleichzeitig erweist sich aber: So drastisch Unterdrückung und Behinderung vielerorts auch waren – sie bildeten nicht das eigentliche Hindernis dafür, dass Esperanto über ein bescheidenes Niveau an aktiven Sprechern nicht hinauskam. Ohne Frage ist seine Geschichte überaus beeindruckend, wenn man es mit allen anderen Plansprachen vergleicht. Als Sprache ist Esperanto ganz sicher nicht gescheitert, was an seiner Entwicklung zu einer lebendigen Sprache mit einer geschätzten Sprecherzahl von ein bis zwei Millionen und mehreren Tausend Mutter- bzw. Zweitsprachlern eindrucksvoll ablesbar ist. Im globalen Verhältnis aber ist sein weiterhin begrenzter Wirkungsgrad beklagenswert: Das Ideal Zamenhofs, mittels einer möglichst weitgehenden Verbreitung der Sprache zur Völkerverständigung beizutragen und dem Nationalismus den Garaus zu machen, konnte – global gesehen – nur auf sehr niedrigem Niveau umgesetzt werden. Dafür verantwortlich sind abermals, wie in den Zwanzigerjahren, Gleichgültigkeit und Ignoranz der internationalen Gremien, deren entschlossener und tatkräftiger Unterstützung die Sprache bedurft hätte – und ebenso der Egoismus und die Überheblichkeit der Staaten und Kulturen, die eine Abwertung ihrer Sprache fürchten oder die Dimension der Aufgabe scheuen. Es liegt auf der Hand, dass wohlwollende Unterstützung von UNO und UNESCO allein Milliarden Menschen eine einigende Weltsprache nicht einfach so schmackhaft macht. Und die Sprechergemeinschaft der Esperantisten hegt wohl keine Illusionen darüber, dass eine länderübergreifende Politikerriege in Aussicht stünde, die beherzt die
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