Grandios gescheitert
Pläne zerschlugen sich jedoch, und Sörgel wandte sich einem Projekt zu, das zu seiner »Lebensarbeit« wurde, wie er später selbst äußerte: Atlantropa. Nach eigener Aussage trieb es ihn, »gesättigt durch die Niederschrift von ethischen Theorien und Auseinandersetzungen (…) instinktiv und vielleicht unbewusst zu einer mehr praktischen Möglichkeit von ›Weltverbesserung‹«. Dazu gehörte, dass die gemeinsame Anstrengung den Kontinent innerlich befrieden und nach außen konkurrenzfähig machen könnte: »Europa und Afrika vereinigen sich zu einem mächtigen Weltteil, der sich allein, wie ein riesiger Keil zwischen Panamerika und Asien, auf Dauer behaupten können wird.« Angesichts der Notwendigkeit von mehr Lebensraum für Europa kritisierte Sörgel die bisherige Geopolitik als passiv, weil sie in die bestehenden Verhältnisse nicht eingreife: »Der Mensch kann aber – wie wir gesehen haben – mit Hilfe der heutigen Technik zweifellos auch aktiv die geographischen Gegebenheiten ändern, um umgekehrt ein schon vorher gefasstes politisches Wunschbild zu verwirklichen.« Nur fehlte es an der Tatkraft der Entscheidungsträger, seine Vision zu verwirklichen: »Die technische Ausführbarkeit ist gegeben, das Kapital ist vorhanden, wo ist der Wille?«
Man darf aber vermuten, dass Herman Sörgel das Projekt nicht deshalb entwickelte, weil er einen Weg suchte, um Europa zum Befreiungsschlag zu verhelfen. Vielmehr war er ganz offensichtlich auf der Suche nach einer Lebensaufgabe, die seine Überzeugungen und Interessen zusammenbrachte und ihm die Möglichkeit gab, sich zu profilieren, nachdem seine bisherige Karriere durchaus enttäuschend verlaufen war. Auf die Idee zu Atlantropa verfiel er eher zufällig, wie er es später selbst schilderte: 1927, an einem Abend bei einem Freund im Münchner Bohemeviertel Schwabing, als sein Blick in einer Gesprächspause auf einen aufgeschlagenen Atlas fiel, der eine Karte des Mittelmeerraums zeigte. »Die Tiefenlinien des Meeresgrundes traten durch farbige Schattierung der Zwischenflächen stark in Erscheinung. Noch nie war mir der Binnencharakter des Mittelmeeres so aufgefallen wie in diesem Augenblick. (…) Von jenem Augenblick hat mich die Idee, den Wasserspiegel des Mittelmeeres zu senken, beschäftigt. Von dieser Stunde an hat mir die Gewissheit, dass das Mittelmeer in ein Kraftwerk für ganz Europa und Asien verwandelt werden könnte, keine Ruhe mehr gelassen.« Der Blick auf die Mittelmeerkarte verband sich sogleich mit dem Drang zum großen Entwurf und seinen Kenntnissen der Wasserenergie und lieferte dem Architekten und Stadtplaner Entwurfsideen – und die ersehnte Lebensaufgabe. Für fast ein Vierteljahrhundert, bis zu seinem Tod, bildete dieses Projekt den Arbeits- und Lebensmittelpunkt Herman Sörgels.
Die Meerenge von Gibraltar zwischen Spanien und Marokko ist nur 14 Kilometer breit, versorgt das Mittelmeer mit reichlich Frischwasser aus dem Atlantik und gleicht so den enormen Verdunstungsverlust aus. Pro Sekunde, so rechnete Sörgel vor, fließen durch die Straße von Gibraltar fast 90.000 Kubikmeter Wasser, zwölfmal mehr, als die Niagarafälle mit sich führen. Pro Jahr liefert der Atlantik dem Mittelmeer 2.762 Kubikkilometer Wasser. Ohne diesen Zustrom und den sehr viel geringeren aus dem Schwarzen Meer würde das Mittelmeer allmählich austrocknen, denn die Zufuhr durch Flüsse und durch Niederschlag machen nur etwa 30 Prozent des Verdunstungsverlustes aus. Zwischen Tunis und Sizilien verläuft zudem eine Schwelle, die das Binnenmeer in eine flachere Westhälfte und einen tieferen Teil im Osten trennt. Im Westen ist das Mittelmeer durchschnittlich nur 2.000 bis 3.000 Meter tief. Die tiefste Stelle südwestlich des griechischen Peloponnes, das Calypsotief vor Kap Tenaro, erreicht 5.121 Meter.
Sörgel wollte aus dem Mittelmeer ein Wasserkraftwerk machen, allerdings ein gigantisches, dessen Errichtung für das Meer selbst, aber auch seine zwei benachbarten Kontinente immense Auswirkungen haben würde. Ausgehend von der Überlegung, dass ein Meer, das seine Existenz geologischen Veränderungen verdankt, nicht notwendigerweise bis in alle Ewigkeit weiterbestehen muss, entwarf Herman Sörgel seinen Plan: Als Binnenmeer mit der Meerenge von Gibraltar als einziger Verbindung zum Atlantik wollte er am westlichen Ende des europäischen Mittelmeers zunächst drei gestaffelte Dämme, dann nur noch einen, gleichwohl gigantischen Damm bauen, um den Frischwasserzufluss
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