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Grandios gescheitert

Grandios gescheitert

Titel: Grandios gescheitert Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Bernd Ingmar Gutberlet
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Klimawandel. Seltener als heute waren Stimmen zu vernehmen, die die Achtung vor der Schöpfung einforderten und nur bedächtige Eingriffe in die Natur verwirklicht sehen wollten. Herman Sörgel reagierte auf die Vorhaltungen zu möglichen Umweltfolgen wie auf die zur technischen Machbarkeit: Mal beschwor er die große Aufgabe, der natürlich auch Opfer gebracht werden müssten, welche jedoch von den Vorteilen vielfach aufgewogen würden. Mal verwies er auf die lange Konstruktionszeit, während der viele der Probleme durch den technischen Fortschritt mühelos geregelt werden könnten. Das wiederum ähnelt der seit Jahrzehnten frohgemut wiederholten Versicherung der Nuklearindustrie, das Problem der Atommüllendlagerung werde sich schon noch lösen lassen.

Eine Spielwiese für Architekten
    Es liegt auf der Hand, dass ein derart gewagtes Projekt in einem so riesigen Maßstab als willkommene Spielwiese auf Architekten und Ingenieure weniger Bedenken und Ängste als vielmehr eine immens große Anziehungskraft ausübte. Immerhin winkte eine Jahrhundertaufgabe, die ihresgleichen kaum kannte: Nicht nur sollten die Dammanlagen mit den benachbarten Einrichtungen wie Schleusen und Kanälen, Verwaltungsbauten und Wehranlagen gestaltet werden – ganze Städte konnten am Reißbrett entstehen, nämlich für das gewonnene Neuland. Herman Sörgel konnte sich rühmen, einige der namhaftesten Architekten als Unterstützer gewonnen zu haben, darunter Erich Mendelsohn, Le Corbusier, Walter Gropius, Hans Poelzig, Ludwig Mies van der Rohe und Bruno Taut, sowie die Architekturlehrer Emil Fahrenkamp und Peter Behrens. Aber auch eine lange Reihe weniger illustrer Namen erklärte sich interessiert, ganze Städte oder Einzelbauten, Kraftwerke, Kanal- und Parkanlagen zu entwerfen. Aus Deutschland, Österreich, den Niederlanden und der Schweiz kamen die Unterstützer der Architektenzunft. Wohl keiner, der mit Architektur und Städtebau zu tun hatte, konnte sich der Faszination entziehen, wenn es auch manchem so gehen mochte wie dem Berliner Architekturkritiker Julius Posener, dem das Projekt gleichzeitig genial und unheimlich erschien. Durchaus zeitgeistkompatibel und den vorbehaltlos Begeisterten aus der Seele sprechend, schrieb der Architekt Fritz Höger dem Projektinitiator von der Hoffnung, dass »nach einem Höllengrund lichte Bergeshöhen für uns und für die Menschheit folgen mögen«, wofür Sörgel mit Atlantropa einen maßgeblichen Beitrag leisten könne.
    Die Architekten störte dabei offenbar wenig, dass für die übergroße Zahl der notwendigen Bauten in den Neulandstädten einstweilen gar kein Gestaltungsbedarf bestand. Der Absenkungsprozess hätte so viele Generationen in Anspruch genommen, dass sowohl bautechnisch als auch stilistisch längst ganz andere Zeiten angebrochen wären, wenn die Aufträge dereinst vergeben würden. Aber natürlich benötigte Sörgel zu Werbezwecken eine attraktive Auswahl an Plänen und Entwürfen, um Atlantropa ein Gesicht zu geben. Die Entwürfe üben denn auch tatsächlich bis heute eine erhebliche Faszination aus, zumal die Architekturmoderne der Bauhaus-Generation und ihrer Jünger längst als klassisch angesehen wird. Und doch sind beispielsweise die stadtplanerischen Entwürfe durchaus unterschiedlich ausgefallen. Besonders interessant waren die neuen Hafenstädte, denn durch die Verlagerung der Küstenlinie verloren viele alte Hafenstädte den Anschluss ans Meer, ganz neue Hafenanlagen und Städte mussten sie ersetzen. Das ganze Vorhaben war gerade hier natürlich ausgesprochen heikel, weil nicht nur viel Neues entstehen, sondern auch Altes sein Gesicht und seine Funktion und Wirtschaftsgrundlage verlieren würde, allen voran die alten Hafenstädte der französischen Mittelmeerküste und der italienischen Adria. Man merkt den Detailplanungen des Projekts denn auch an, dass sie vorauseilend die Vorteile des Neuen und auch seine Faszination so vermitteln wollten, dass die Bedenken dagegen weniger ins Gewicht fallen würden. Aber natürlich war von Städten wie Marseille oder Venedig kaum zu erwarten, dass sie sich euphorisch zeigen würden.
    Am afrikanischen Ende des Gibraltardamms, neben gewaltigen Hafenanlagen, sollte das neue Tanger errichtet werden: nach den Plänen der Meisterklasse von Peter Behrens an der Wiener Akademie eine hypermoderne Stadt auf fächerförmigem Grundriss mit riesigen gebogenen Scheibenhochhäusern, zwischen denen ein radiales Autobahnnetz hindurchführt. In

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