Grandios gescheitert
Südfrankreich sollte die Rhône vor Arles hinter der alten Uferlinie aufgestaut werden und ihr Überlauf durch Neuland und Schleusentreppen zum Mittelmeer geführt werden. Als Ersatz für die Häfen von Marseille und Arles entwarf der Tiroler Architekt Lois Welzenbacher die neue Stadt Port du Rhône, die per Eisenbahn und Schiff mit den alten Städten verbunden werden sollte. Immerhin für die ersten Jahrzehnte der Absenkung sollte Marseille in Richtung der voranschreitenden Küstenlinie mitwachsen.
Für das neue Genua projektierten die Münchner Architekten Willibald Ferber und Georg Appel einen riesigen Hafen mitsamt Wasserflugplatz, an den ein konventioneller Flughafen anschloss. Der Plan ist dem Grundriss einer barocken Musterstadt entlehnt: Eine breite Sichtachse führte von einem Wasserspiel an der neuen Küstenlinie, flankiert von zwei Wolkenkratzern, zur Altstadt über eine Wasserfläche, die die Absenkung überleben sollte, um die pittoreske Ansicht der alten Stadt Genua zu erhalten.
Und auch für den Suezkanal musste geplant werden: Verlängert bis zur neuen Küstenlinie Ägyptens, wo die Schiffe auf das hier um 200 Meter abgesenkte Mittelmeerniveau geschleust werden sollten, hätte Port Said ebenfalls einen Unterhafen mit moderner Neustadt bekommen, ausgestattet mit Flug- und Luftschiffhafen, Wasserflugplatz und Bahnhof. Venedig wäre dagegen zu einer musealen Angelegenheit geworden, denn Sörgel plante einen weit vorgelagerten Damm, um wenigstens den Eindruck aufrechtzuerhalten, die Stadt liege noch immer am Wasser. Immerhin war ein Kanal zum Meer geplant – das nunmehr jedoch in 450 Kilometer Entfernung lag. Für die Bauleitung aller Teilprojekte rund ums Mittelmeer war übrigens vorgesehen, ständig mit einem Schiff zwischen den Baustellen hin und her zu pendeln.
Afrika als williges Vakuum
So monumental das Projekt in seinem Maßstab und in der Form seiner wichtigsten Bauwerke, der drei Staudämme, geriet: Herman Sörgel wollte dem Ganzen auch ein augenfälliges Symbolbauwerk zur Seite stellen, das Atlantropa-Haus. Hier sollte die Generalleitung untergebracht werden, die den neuen Kontinent verwalten sollte. Die Zentrale sollte in der neutralen Schweiz erbaut werden, zunächst war Basel, später Bern vorgesehen. Sörgel machte einen ersten Entwurf, der seine Vorliebe für die Zahl Drei widerspiegelt: Wie bei einem Tempel führen drei Freitreppen auf eine dreieckige Plattform, auf der ein kuppelförmiges Gebäude thront, das für die Erdkugel steht. An den Ecken der Plattform erheben sich drei Hochhäuser, die sich nach oben hin verjüngen und deren Verbindungsbrücken eine Krone bilden. In den Bürotürmen sind die drei Hauptabteilungen der Regierung Atlantropas, Politik, Wirtschaft und Technik, untergebracht.
Die gestalterische Umsetzung erwies sich als schwierig, bis der oben bereits zitierte expressionistische Architekt Fritz Höger, bekannt für mehrere Hamburger Geschäftshäuser und Fabrikbauten der Zwanzigerjahre, ein futuristisches Gebäude entwarf, das bis heute das Symbolgebäude schlechthin für das Projekt Atlantropa ist: Eine 30 Meter hohe, runde Veranstaltungshalle von 100 Meter Durchmesser unter einem Kuppeldach, flankiert von drei 100 Meter hohen Bürotürmen, die zur Mitte der Kuppel hin mit gläsernen Gebäudebrücken verbunden werden. Über dem Mittelpunkt der Kuppel ragt ein Sendemast von 150 Meter Höhe nach oben. Das Atlantropa-Haus sollte zum ideellen Zentrum des Menschheitsprojekts werden, und Herman Sörgels Vorstellung, was sich außer schnöder Büro- und Verwaltungsarbeit dort abspielen sollte, illustriert seine Vision von Atlantropa besonders deutlich. Denn Atlantropa war nicht allein technisches Projekt, sondern hier verschmolzen Technikeuphorie und Machbarkeitsglaube miteinander, postreligiöse Massenbindung und Völkerverständigung und die ideologische Vorstellung einer neuen Supermacht. Auch eine Flagge sollte Atlantropa bekommen: quergestreift in den Farben rot, blau, schwarz für das blühende Europa, das Wasser des Mittelmeeres und den schwarzen Kontinent Afrika.
Afrika? Immerhin schuf das Projekt eine doppelte Landverbindung zwischen Europa und Afrika, das Herman Sörgel allerdings als »erwartungsvolles Vakuum vor Europas Toren« bezeichnete – eine entlarvende Formulierung für den Platz, den er für den Schwarzen Kontinent vorsah. Es ging nicht um eine Vereinigung, sondern eine Erweiterung Europas auf dem Meeresgrund des Mittelmeeres, aber auch auf
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