Bücher online kostenlos Kostenlos Online Lesen

Granger Ann - Varady - 04

Titel: Granger Ann - Varady - 04 Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Dass sie stets Boses muss gebaren
Vom Netzwerk:
meinen Füßen. Irgendwann mitten in der Nacht fing es an zu
regnen, und der Krach auf dem Wellblechdach war entsetzlich. Ich konnte nicht länger hier wohnen bleiben. Ich
musste einen weiteren Versuch beim Wohnungsamt unternehmen. Ich hatte bereits auf der Straße nach einer Mitwohngelegenheit in irgendeinem besetzten Haus herumgefragt. Bisher hatte sich keine Gelegenheit ergeben. Es war
auf mehr als eine Weise deprimierend. Ein besetztes Haus
zu teilen ist eine Kunst. Man erlernt sie, und wenn man sie
nicht benutzt, vergisst man sie wieder. Ich fürchtete, dass
ich mich inzwischen viel zu sehr daran gewöhnt haben
könnte, allein zu wohnen, obwohl ich nur wenige Monate in
meiner eigenen Wohnung gelebt hatte. Der Himmel möge
mir helfen – trotz der gegenwärtig alles andere als idealen
Umstände machte mir der Gedanke Angst, wieder in einer
Wohngemeinschaft leben zu müssen.
Gegen drei Uhr morgens – gerade als ich endlich eingeschlafen war – knurrte Bonnie plötzlich, und ich wachte
wieder auf. Ich richtete mich auf mit jenem Gefühl von Panik in mir, das einen übermannt, wenn man nicht besonders gut geschlafen hat und von Sorgen geplagt wird. Bonnies Knurren war ein dunkles, resonantes, urtümliches Geräusch. Ich kannte Bonnies unterschiedliches Knurren inzwischen ganz gut. Sie hatte eines, das sie beim Spielen mit
mir von sich gab, wenn wir beispielsweise um einen alten
Fetzen kämpften, und mit dem sie sich quasi aufplusterte.
Dann hatte sie ein angespanntes Knurren, wenn sie sich irgendeiner Sache nicht sicher war. Und dann gab es noch ein
Knurren, das mich vor einer Gefahr warnen sollte – so wie
jetzt. Ich setzte mich auf und streckte die Hand nach ihr aus,
um mit ihr durch Berührung zu kommunizieren. Sie stand
am Fuß meines Feldbetts, und ich spürte ihre aufgerichteten
Nackenhaare.
Draußen in der Zufahrt zu den Garagen erklangen hastige Schritte. Jemand rannte an meiner Garage vorüber, dann
schien er kurz zu zögern und kehrte wieder um. Ich konnte
mir denken, was sich abspielte. Die kleine Zufahrt ist eine
Sackgasse, die lediglich zu den Garagen führt. Irgendjemand
wurde gejagt und hatte sich in die schlecht beleuchtete Zufahrt geflüchtet, um frustriert herauszufinden, dass es keinen Ausweg gab und er kehrtmachen musste. Er war entweder auf der Flucht vor irgendjemand oder irgendetwas anderem, einem Schläger vielleicht oder einem Räuber, wer
weiß. Warum er rannte, spielte keine Rolle. Er rannte.
Wenn man auf der Straße lebt, dann sieht man Menschen
rennen, und man stellt keine Fragen nach dem Warum.
Man geht aus dem Weg. Man sieht keine Verfolger. Selbst
wenn sie in Spuckweite an einem vorbeikommen, sieht man
sie nicht. Das Leben auf der Straße erfordert eine gewisse
Blind- und Taubheit, die man nach Belieben ein- und ausschalten kann. Es sind nicht nur die Leute, die auf der Straße leben, die diese Begabung entwickeln. Auch Menschen,
die nachts arbeiten – Müllmänner, Straßenkehrer, Kanalreiniger, Nachtschichtarbeiter, Nutten –, sie alle konzentrieren
sich auf das, was sie gerade tun, und auf den Weg vor ihnen;
sie achten darauf, dass niemand ihnen folgt, und machen,
dass sie verschwinden, sobald es nach Ärger aussieht. Vielleicht war der Läufer draußen lediglich zum falschen Zeitpunkt am falschen Ort gewesen und hatte es bemerkt. Und
war geflüchtet.
Möglicherweise war er ein paar Sekunden zu langsam
gewesen.
Ich glaubte Stimmen in der Ferne zu hören und laute Rufe. Ein Wagen, der irgendwo in der Nähe mit quietschenden
Reifen hielt, um dann mit aufheulendem Motor weiterzujagen.
Anschließend lag ich da und döste unruhig vor mich hin,
während rings um mich herum durch das versperrte Garagentor hindurch die Geräusche des erwachenden London
hallten, das sich auf einen neuen Tag vorbereitete. Die ersten Zeitungslieferwagen trafen ein. Das bedeutete, dass Ganesh auf war und im Laden. Ich kroch aus dem Schlafsack
und zog mich an, was nicht lange dauerte, da ich den größ
ten Teil meiner Sachen wegen der Kälte anbehalten hatte.
Ich zog meine Jacke über, schnürte meine Stiefel und verließ
die Garage durch die hintere Tür mit Bonnie dicht auf den
Fersen, um über den Hof in Richtung der hell erleuchteten
Rückfenster des Ladens zu stapfen.
»Du bist früh heute«, sagte Ganesh gähnend.
Ich murmelte ein undeutliches »Guten Morgen« und ging
ins Badezimmer, um Kaffee zu kochen. Bonnie war draußen
im Hof und schnüffelte umher. Ganesh hatte das Radio laufen. Ich

Weitere Kostenlose Bücher