Granger Ann - Varady - 04
reinlich und weiß
war wie ihr Gesicht, mit sauber geschnittenen Nägeln, und
wandte sich zum Gehen. Ganesh blickte sich nervös in der
blumenübersäten Halle um. »Soll ich vielleicht lieber hier
warten?«, flüsterte er.
»Nein, ich brauche dich bei mir!« Ich packte seine Hand
und zog ihn im Gefolge von Schwester Helen mit mir.
»Ich bin froh, dass Sie sich entschließen konnten zu
kommen«, plauderte Schwester Helen munter über die
Schulter. »Hat Mr Duke Sie also gefunden?«
»Ja«, sagte ich nervös.
Also wusste sie über Clarence Duke Bescheid. Ich fragte
mich, ob sie es vielleicht gewesen war, die meiner Mutter vorgeschlagen hatte, einen Privatdetektiv zu beauftragen. Wir
passierten unterwegs einen Gesellschaftsraum mit Leuten darin. Einige sahen fern, andere lasen. Eine Frau strickte an einem langen Stück, das aussah wie ein Schal, lauter verschiedene Farben. Sie war umgeben von Wollknäueln, und ihre Finger bewegten sich methodisch und erschufen etwas, das zwar
einen Anfang hatte, doch kein Ende außer ihrem eigenen. Sie
würde wahrscheinlich weiterstricken, bis der Augenblick gekommen war, an dem sie ihre Stricknadeln für immer niederlegte. Ich schätzte, dass sie ständig daran denken musste. Die
Atmosphäre war friedlich und alles andere als bedrückend.
Unsere Führerin öffnete eine Tür. »Hier herein. Eva? Sind
Sie wach, meine Liebe? Hier ist Besuch für Sie.«
Sie trat zur Seite, und mir blieb nichts anderes übrig, als
an ihr vorbei in das Zimmer zu gehen, doch nachdem ich
über die Schwelle war, erstarrte ich zur Salzsäule. Meine
Beine weigerten sich einfach, mich weiter zu tragen. Auf
dem Weg zur Sterbeklinik hatte ich mir alle möglichen Methoden überlegt, wie ich mit diesem Augenblick umgehen
würde, doch jetzt war mein Verstand mit einem Mal völlig
leer. Ganesh rempelte mich von hinten an. Ich spürte, wie er
mich aufmunternd schubste, und sein Atem kitzelte an meinem Ohr, als er mir zuflüsterte: »Los, weiter.«
Ich konnte nicht. Ich blieb wie angewurzelt direkt hinter
der Tür stehen und starrte quer durch das Zimmer zu der
Frau, die in halb aufgerichteter Position in dem Bett am
Fenster lag. Sie drehte den Kopf in meine Richtung, und unsere Blicke begegneten sich. Ich öffnete den Mund, um etwas zu sagen, in der Hoffnung, dass ich irgendetwas über
die Lippen bringen würde.
Ich hörte meine Stimme, fern und körperlos. Sie sagte:
»Hallo. Ich bin Fran.«
»Ich bin sehr froh, dass du gekommen bist, Fran«, sagte
die Frau im Bett.
Alle waren so froh, dass ich hergekommen war. Clarence,
Schwester Helen, meine Mutter. Und trotzdem hatte ich
mich noch nie in meinem Leben so verloren gefühlt.
Schließlich ließ Schwester Helen uns allein und schloss
hinter uns die Tür. Gan, die Frau im Bett und mich zusammen in einem Raum.
Ganesh scharrte hinter mir nervös mit den Füßen. Hastig stellte ich ihn vor. Wenigstens das war nicht weiter
schwierig.
»Guten Tag, Mrs Varady«, sagte Ganesh höflich. »Ich bin
nur mitgekommen, um Fran Gesellschaft zu leisten.«
»Sehr erfreut, Ganesh«, sagte die Frau im Bett und streckte
ihm eine dünne weiße Hand entgegen. Ganesh trat zum Bett
und ergriff sie. Er hielt ihre Hand für einen kurzen Moment,
dann sagte er leise. »Ich warte dann draußen.« Er sah mich an.
»Ich bin in der Nähe, Fran.« Er wandte sich ab und ging.
Ich schob mich vorsichtig zum Bett und nahm in einem
Korbstuhl Platz – nicht, weil ich mich entspannt fühlte,
sondern weil meine Knie weich waren. Ich wusste nicht, was
ich sagen sollte, und ich wollte sie auch nicht anstarren. Sie
schien einigermaßen ruhig und musterte mich aus großen,
blassblauen Augen.
Meine Erinnerungen an sie waren die von einer kleinen,
attraktiven Frau mit dickem, dunkelblondem Haar. Sie hatte heute fast keine Haare mehr, nur noch ein paar Büschel,
die ordentlich nach hinten gekämmt waren. Im Kontrast zu
ihren dürren Händen war ihr Gesicht rund, die Wangen
voll, und die Haut unter ihren Augen war aufgequollen. Ich
hätte sie nicht erkannt. Einzig und allein ihre Stimme
brachte eine Saite in mir zum Schwingen. Nicht wirklich
Erkennen, sondern mehr irgendetwas Vertrautes, das mich
im Bauch traf und mich fast krank machte. Ich hoffte, dass
ich nicht zitterte, obwohl es sich so anfühlte. Jeder einzelne
Nerv in meinem Körper zitterte und bebte.
»Dein Freund ist ein netter junger Mann«, sagte sie. Sie
kam mit der Situation viel besser zurecht als ich. Es war so
unfair. Sie war krank, und ich war
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