Granger Ann - Varady - 04
Zeitung unsichtbare Hari. »Sie hat ihre einzige Tochter verloren.«
Ganesh und ich starrten auf die Zeitung und das Händepaar rechts und links, das sie hielt.
»Was für eine Frau?«, fragte Ganesh streitlustig.
»Eine ehrliche, respektable Frau. Die Witwe eines Arztes.«
Ganesh und ich stießen einen gemeinsamen erleichterten
Seufzer aus. Bei genauerer Betrachtung erschien mir die Vorstellung ziemlich absurd, dass meine Mutter hätte gemeint
gewesen sein können, die in der Zeitung Suchmeldungen
nach mir aufgegeben hatte. Trotzdem, möglich war es. Sie
hatte schließlich auch Clarence Duke mit der Suche nach
mir beauftragt. Sie hatte nicht mehr viel Zeit. Durchaus
denkbar, dass sie eine Anzeige geschaltet hatte. Wer etwas
über den Verbleib von Fran Varady weiß, möge sich bitte … »Seht nur, hier ist ein Foto ihrer Tochter.« Hari raschelte
mit der Zeitung, als könnten wir das Bild sehen, was wir
nicht konnten, und fuhr fort: »So eine nette junge Frau. Eine Krankenschwester. Und jetzt ist sie verschwunden. Sie
ging eines Abends zur Nachtschicht und kam nicht wieder
nach Hause zurück. Keine Spur von ihr. Ihre Mitbewohnerin hat sie am nächsten Tag bei der Polizei als verschwunden gemeldet, aber hat die Polizei etwas unternommen?
Nein, sie hat die Hände in den Schoß gelegt, drei Tage lang!
Und jetzt ist ihre Mutter mit ihrer Weisheit und ihrer Geduld am Ende und veranstaltet einen Riesenwirbel. Völlig zu
Recht, wie ich hinzufügen möchte!«
Haris Kopf tauchte hinter der Zeitung auf, und er starrte
düster auf den Nachrichtensprecher im Fernsehen. »Und die
Politiker – was machen sie? Nichts! Was für eine schreckliche
Geschichte, sein Kind auf diese Weise zu verlieren. Was würde diese arme Frau nicht darum geben, ihre Tochter wieder
zu finden?«
Es war, als hätte Gott oder sonst irgendwer mir eine Botschaft geschickt. Als hätte er meinem schwankenden Gewissen einen Stoß versetzt.
»Wenn ich zu ihr gehe, kommst du dann mit mir?«, flüsterte ich Ganesh zu.
»Sicher«, lautete seine Antwort.
Wie ich schon sagte, Ganesh ist ein wahrer Freund.
»Du solltest es bald tun«, sagte er zögernd.
»Ja, das ist mir bewusst.«
»Morgen ist Sonntag«, raunte er weiter. Onkel Hari ist
ein klein wenig schwerhörig. »Es müsste am Nachmittag
sein.« Morgens war der Laden bis zwölf Uhr offen wegen
der Sonntagszeitungen. »Und was wirst du jetzt tun? Diesen
Clarence Duke anrufen? Du kannst unser Telefon benutzen.« Er nickte in Richtung des Apparats.
»Ich rufe morgen Früh an«, sagte ich.
»Besser, wenn du es jetzt machst.«
»Hari wird es bemerken.«
»Benutz das Telefon unten im Laden.«
Haris Kopf tauchte hinter der Zeitung auf. »Was ist das
für ein Getuschel?«
»Wir haben über die vermisste Frau geredet«, antwortete
Ganesh mit lauter Stimme. »Wenn ihre Leiche bisher nicht
gefunden wurde, dann taucht sie vielleicht wieder auf.
Manchmal verschwinden Menschen einfach so und spazieren Jahre später wieder durch die Tür herein.« Er warf mir
einen Seitenblick zu. »Sorry, Fran«, flüsterte er.
»Schon gut«, sagte ich und wandte mich Onkel Hari zu.
»Ganesh hat Recht, Menschen verschwinden und tauchen
irgendwann wieder auf. Ich hoffe nur, die Tochter der armen Witwe lässt sich keine vierzehn Jahre Zeit dafür.« KAPITEL 3 Ich rief noch in jener Nacht an,
auf dem Weg von der Wohnung zur Garage, aus dem Laden. Ein Anrufbeantworter nahm das Gespräch entgegen,
und Clarences Stimme bat mich, eine Nummer zu hinterlassen, sodass er mich zurückrufen könne. Falls ich das tat,
würde wahrscheinlich Onkel Hari das Gespräch annehmen,
wenn Clarence zurückrief. Also legte ich den Hörer ohne ein
Wort wieder auf die Gabel.
Der vergebliche Versuch reichte aus, um mich in jener
Nacht an vernünftigem Schlaf zu hindern. Die allgemeinen
Umstände in der Garage machten alles doppelt schlimm.
Ich hatte den Calor Gasofen heruntergedreht und hörte, wie
er in der Dunkelheit leise zischte, doch es reichte kaum, um
die Temperaturen über dem Gefrierpunkt zu halten. Der
Wind stieß eisige Finger durch die Spalten zwischen Wand
und Dach. Sie tasteten böswillig nach mir und weckten
mich immer wieder, sobald ich einzudösen drohte. Der Geruch von Öl und Treibstoff von dem Wagen, der früher
einmal hier gestanden hatte, schien stärker geworden zu
sein. In den Ecken raschelte es, und ich sagte mir immer
wieder, dass es keine Mäuse waren, weil Bonnie sich sicher
darum gekümmert hätte. Sie schnarchte glücklich bei
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