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Granger Ann - Varady - 04

Titel: Granger Ann - Varady - 04 Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Dass sie stets Boses muss gebaren
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Hause weggelaufen sind, schlafen auf der
Straße und werden von gewissenlosen Zuhältern aufgesammelt, die sie zur Prostitution zwingen. Ich habe es selbst
erlebt. In meiner ersten Zeit, die ich auf mich allein gestellt
verbracht hatte, war ich immer wieder von freundlichen
Männern und Frauen angesprochen worden, die mir »einen
Job und ein Dach über dem Kopf« angeboten hatten, und
dazu noch »gutes Geld«. Ich hatte stets den Kopf eingezogen
und Fersengeld gegeben – solche Leute mochten es nicht,
wenn man Nein zu ihnen sagte.
Meine Mutter war eine weitere Frau mit einem Baby gewesen, nicht mehr und nicht weniger. Die örtlichen Behörden sind heilfroh, wenn sie jemanden von ihrer Liste streichen können, weil ein Telefonanruf eingeht und ihnen mitgeteilt wird, dass die betreffende Person umzieht und fortan
das Problem einer anderen Behörde in einem anderen Zuständigkeitsbereich darstellt. Heilfroh, dass einer weniger
um Hilfe und andere Dinge bittet. Zu sehr damit beschäftigt, mit denen fertig zu werden, die Hilfe verlangen, um
Zeit zu haben, sich über jene den Kopf zu zerbrechen, die es
nicht oder nicht mehr tun.
Wenn man vollkommen untertauchen möchte, ist London wahrscheinlich eine der am besten geeigneten Städte
auf der ganzen Welt, um es zu tun.
Meine Mutter war mit ihrem Neugeborenen einfach von
der Bildfläche verschwunden. Niemand wusste etwas, und
niemand stellte Fragen. Absolut niemand.
»Zu den Leuten, die nichts darüber wissen, gehört wohl
auch Miranda – oder Nicola, wie sie heute heißt«, sagte ich
laut. »Was, wenn sie es herausfindet?«
»Wie sollte sie? Ihre Eltern werden es ihr wohl kaum jemals
erzählen. Es gibt eine richtige Geburtsurkunde für Nicola
Wilde. Es gibt keinen Grund, warum sie es jemals herausfinden sollte.« Meine Mutter schlug mit der dünnen, flachen
Hand auf die Bettdecke.
Natürlich. Eine Geburtsurkunde. Alles, was man im Leben braucht. Verdammt, wir leben in einem Land, in dem
man untertauchen und an anderer Stelle als jemand anders
wieder auftauchen kann! Wir haben eine Kultur und eine
Gesellschaft, die so etwas zu einer kinderleichten Übung
macht! Niemand muss irgendwelche Ausweispapiere mit
sich herumtragen, außer wenn er irgendwelche besonderen
Gebäude betreten möchte. Es ist nicht illegal, einen erfundenen Namen zu benutzen, solange dieser Name nicht kriminelle Absicht vertuschen soll. (Ansonsten wären unglaublich viele Schauspieler und Künstler im Knast, schätze
ich.) Sie wollen jemand anders sein? Suchen Sie nach dem
Namen eines Verstorbenen, der, wäre er noch am Leben,
ungefähr Ihr Alter hätte, an einem gegebenen Ort, und
schreiben Sie die Behörde um Ausstellung einer neuen Geburtsurkunde an. Mit dieser Geburtsurkunde sind Sie plötzlich jemand anders. Meine Schwester war zu jemand anderem geworden. Die Wildes, offensichtlich in tiefem Schock
und – psychologisch betrachtet – außer Stande, den Verlust
ihres Babys zu akzeptieren, hatten es genauso gemacht.
Falls sie später irgendwann die Falschheit ihres Tuns erkannt hatten, so war es längst zu spät gewesen, etwas daran
zu ändern.
»Reg dich nicht so auf«, versuchte ich meine Mutter zu besänftigen. Ich goss ihr ein Glas Wasser ein. Sie nippte daran,
während ich versuchte herauszufinden, was als Nächstes
kommen mochte. Ich hatte da so eine ungefähre Ahnung.
»Du möchtest, dass ich sie für dich suche, richtig? Dass
ich Nicola für dich finde?«, fragte ich.
»Ich kann dir die letzte Adresse der Wildes geben.« Sie
sah mich flehentlich an. »Bitte, Fran, sag nicht Nein. Ich habe alles für dich aufgeschrieben, für den Fall, dass du
kommst, wenn ich … wenn ich nicht im Stande bin, es dir
zu sagen.« Sie suchte scharrend unter dem Kopfkissen und
zog einen zerknitterten Umschlag hervor, den sie mir in die
Hand drückte.
Meine Finger umschlossen ihn völlig automatisch. Er war
warm von ihrem Körper – einer Wärme, die bald erlöschen
würde. Doch jetzt war nicht die Zeit, um mich von Emotionen daran hindern zu lassen, ihr das Offensichtliche zu sagen. »Hör mal«, setzte ich an. »Hör zu, du hast gesagt, es
wäre nicht nötig, dass Nicola Wilde jemals herausfindet,
dass sie in Wirklichkeit Miranda Varady ist. Aber falls, und
ich betone falls – was ich für sehr unwahrscheinlich halte –
ich sie finde, würde ich damit doch wohl die Katze aus dem
Sack lassen, oder? Wenn ich plötzlich aus dem Nichts vor
ihr auftauche und ›Hallo, ich bin deine Schwester Fran‹ zu
ihr

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