Bücher online kostenlos Kostenlos Online Lesen

Granger Ann - Varady - 04

Titel: Granger Ann - Varady - 04 Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Dass sie stets Boses muss gebaren
Vom Netzwerk:
alles so falsch. Hier stand
ich mit einem gesunden Baby, um das ich mich nicht anständig kümmern konnte, und dort waren diese beiden, denen es
gut ging und die sich verzweifelt nach einem Baby sehnten,
und Flora, die kein weiteres Kind mehr haben konnte …«
Meine Mutter stockte.
»Ich kann mir denken, was du mir als Nächstes erzählen
wirst«, sagte ich mit dem Herz in den Stiefeln.
Ich schätzte, dass ihr keine andere Wahl geblieben war,
als das Baby zur Adoption freizugeben.
»Es erschien mir damals als richtig«, sagte sie ausweichend. »Es schien, als wäre es so gewollt. Sie hatten die Geburt ihrer kleinen Tochter bereits angezeigt, weil sie sich
geweigert hatten zu glauben, dass sie niemals nach Hause
kommen würde, also gab es eine richtige Geburtsurkunde
für eine Nicola Wilde. Sie hatten keine Familie und keine
engen Freunde in London, und sie hatten noch keine Zeit
gefunden, irgendjemanden von außerhalb über die Tragödie
zu informieren. Niemand wusste, dass ihr Kind gestorben
war, und wenn die arme kleine Seele ganz im Stillen in einem privaten Krematorium verbrannt wurde, gab es keinen
Grund, dass irgendjemand es erfahren sollte – nicht, wenn
sie ein Kind im richtigen Alter und vom richtigen Geschlecht mit nach Hause brachten. Ich erklärte ihnen meine
Lebensumstände und fragte sie, ob sie Miranda nehmen
wollten. Ich wusste, dass Miranda das bestmögliche Zuhause und liebevolle Eltern bekommen würde und niemand es
jemals erfahren müsste. Sie würde einfach die Identität des
toten Babys annehmen. Statt als Miranda Varady würde sie
als Nicola Wilde aufwachsen.«
Jetzt aber langsam! Das war nicht gerade das, was ich erwartet hatte! Eine private, total inoffizielle Abmachung? Ein
Baby, das einfach so, mir nichts, dir nichts an Leute ausgeliefert wurde, die im Prinzip vollkommen Fremde waren?
Leute, die ihr die Identität rauben und ihr eine andere geben
würden? War es das, was meine Mutter getan hatte? Kein
Wunder, dass sie mit niemandem darüber reden konnte,
außer mit mir.
»Es war verrückt!«, sagte ich aufgeregt. »Warum hast du
nicht die zuständigen Behörden eingeschaltet? Die beiden
hätten das Baby vollkommen legal adoptieren können!«
»Das wusste ich aber nicht mit Sicherheit!« Sie wurde
lebhaft, und das tat ihr offensichtlich nicht gut. Ihr Atem
ging mühsam. »Du weißt doch, wie es ist, wenn die Fürsorge erst den Fuß über die Schwelle gesetzt hat! Sie hätten Miranda in ihre Obhut genommen und sie irgendjemandem
gegeben, von dem ich überhaupt nichts wusste. Es hätte
keine Garantie gegeben, dass man den Wildes erlaubt hätte,
sie zu adoptieren. So wie ich es gemacht habe, erfuhr niemand etwas darüber. Ich musste eine Entscheidung fällen,
und zwar auf der Stelle. Ich hatte nicht die Zeit, lange zu
überlegen. Sobald die Wildes erst irgendjemandem erzählten, dass ihr Baby gestorben war, wäre es zu spät gewesen.
Es hieß jetzt oder nie.«
»Aber hat denn niemand gefragt, wo dein Baby plötzlich
war? Meine Schwester?«
»Ich war ganz allein. Niemand hat sich für mich interessiert.« Sie rollte den Kopf auf dem Kissen hin und her.
Dann, mit beinahe triumphierender Stimme, fuhr sie fort:
»Ich bin umgezogen, mehrere Male, von einem Stadtteil in
den anderen. Du weißt, wie das ist. Ich war kein Sozialfall
und wohnte nicht in einer Sozialwohnung. Ich mietete privat. Niemand kümmert sich um einen, Fran.«
Ich wusste sehr genau, wie es war, jawohl. London ist voller einsamer Frauen, die ständig umziehen. Eine große Zahl
von ihnen hat Babys oder sogar mehrere kleine Kinder. Wä
ren die Fürsorgesysteme besser, würde es weit weniger Tragödien geben. Weniger grauenhafte Gerichtsprozesse, weniger misshandelte oder tote Babys. Stattdessen jedoch sind
die sozialen Einrichtungen, die Gerichte, die Wohltätigkeitsorganisationen und all die anderen, die sich um diejenigen kümmern sollen, die durch die Lücken im System fallen, bis an ihre Belastungsgrenzen angespannt und stöhnen
unter ihrer Bürde.
Und so sterben immer noch kleine Kinder, obwohl sie
bereits in einem Register als »gefährdet« eingestuft sind. Ältere Menschen verhungern und erfrieren trotz all der Tageszentren und der Heizkostenzuschüsse. Mental kranke Patienten, in die »Fürsorge der Gemeinschaft« entlassen, erhalten überhaupt keine Fürsorge mehr, hören auf, ihre Medikamente zu nehmen, und fallen in eine bergab führende
Spirale aus Gewalt gegen sich selbst oder gegen andere. Kinder, die von zu

Weitere Kostenlose Bücher