Grant County 03 - Dreh dich nicht um
Sara kannte ihn zu gut, daher überraschte sie seine Reaktion nicht. Für Chuck war all das hier wie besseres Fernsehen.
»Komm«, Jeffrey half Sara auf die Füße.
»Ich habe Carlos angerufen.« Carlos war Saras Assistent im Leichenschauhaus. »Er sollte gleich hier sein. Nach der Obduktion wissen wir mehr.«
»Gut.« Jeffrey wandte sich noch einmal an Matt: »Versuch, ein gutes Bild von seinem Gesicht zu machen. Wenn Frank wieder hier unten ist, sag ihm, dass ich mich am Auto mit ihm treffe.«
Matt salutierte stumm. Es hatte ihm die Sprache verschlagen.
Sara stopfte sich das Stethoskop in die Hosentasche, als sie und Jeffrey zurück durch das Flussbett marschierten. Sie spähte hinauf zu ihrem Wagen, um nach Tessa zu sehen. Die Sonne spiegelte sich in der Windschutzscheibe.
Jeffrey wartete, bis sie außerhalb von Chucks Hörweite waren, dann fragte er: »Du hast nicht alles gesagt, oder?«
Sara schwieg, sie wusste nicht, wie sie ihre vagen Vermutungen in Worte fassen sollte. »Irgendwas ist faul an der Sache.«
»Vielleicht ist es nur wegen Chuck.«
»Nein«, sagte sie. »Chuck ist ein Arschloch. Aber das weiß ich seit über dreißig Jahren.«
Jeffrey musste lächeln. »Was ist es dann?«
Sara sah sich noch einmal nach dem Jungen um, der auf dem Boden lag, dann warf sie einen Blick hoch zur Brücke. »Der Kratzer auf seinem Rücken. Woher kommt er?«
Jeffrey konnte nur raten: »Vom Brückengeländer vielleicht?«
»Wie das? So hoch ist das Geländer nicht. Wahrscheinlich ist er einfach drübergestiegen.«
»Das Sims unter dem Geländer«, überlegte Jeffrey weiter. »Vielleicht hat er sich im Fallen den Rücken daran aufgeschürft.«
Sara starrte immer noch zur Brücke hoch. Sie versuchte, sich vorzustellen, was passiert war. »Also, wenn ich gesprungen wäre, ich hätte keine Lust gehabt, mir unterwegs noch irgendwo wehzutun. Ich hätte mich aufs Geländer gestellt und wäre so weit wie möglich weg von der Brücke gesprungen. Weg von allem.«
»Vielleicht ist er erst aufs Sims geklettert und hat sich dabei den Rücken aufgeschürft.«
»Lass deine Leute nach Hautpartikeln suchen«, schlug Sara vor, doch aus irgendeinem Grund bezweifelte sie, dass man welche finden würde.
»Und dass er auf den Füßen gelandet ist?«
»Nicht so ungewöhnlich, wie man denkt.«
»Meinst du, er hat es freiwillig getan?«
»Das Springen?«
»Die Geschichte da.« Jeffrey deutete auf seinen Unterleib.
»Das Piercing?«, fragte Sara. »Das hat er wahrscheinlich schon länger. Es ist gut verheilt.«
Jeffrey schüttelte sich. »Warum tut man sich so was an?«
»Angeblich erhöht es die sexuelle Erregbarkeit.«
Jeffrey machte ein skeptisches Gesicht. »Für den Mann?«
»Und für die Frau«, ergänzte Sara schaudernd.
Dann sah sie zu ihrem Wagen. Von hier aus konnte sie den Parkplatz gut überblicken. Außer Brad Stephens und der Zeugin war niemand in Sicht.
Jeffrey fragte: »Wo ist Tessa?«
»Keine Ahnung«, antwortete Sara nervös. Sie hätte Tessa heimfahren sollen, anstatt sie mitzunehmen.
»Brad«, rief Jeffrey dem Polizisten zu, als sie bei den Autos ankamen. »Ist Tessa noch nicht zurückgekommen?«
»Nein, Sir«, antwortete er.
Sara warf einen Blick auf den Rücksitz des Wagens. Vielleicht hatte sich Tessa dort zu einem Nickerchen eingerollt. Doch der Wagen war leer.
»Sara«, sagte Jeffrey.
»Ist schon in Ordnung«, murmelte Sara. Vermutlich hatte Tessa, als sie schon auf dem Rückweg war, noch einmal pinkeln müssen. In den letzten Wochen hatte das Baby auf ihrer Blase Stepptänze aufgeführt.
»Willst du, dass ich sie suchen gehe?«, bot Jeffrey an.
»Sie hat sich wahrscheinlich irgendwo hingesetzt, um zu verschnaufen.«
»Sicher?«, fragte Jeffrey.
Sie winkte ab, dann machte sie sich auf den Weg und kraxelte den Hügel hinauf. Der Wald umgab die halbe Stadt, und die Studenten benutzten die Wege zum Joggen. Gut anderthalb Kilometer weiter im Osten befand sich die Kinderklinik. Im Westen kam der Highway, und in nördlicher Richtung landete man irgendwann auf der anderen Seite der Stadt, wo die Lintons wohnten. Falls Tessa beschlossen hatte, nach Hause zu laufen, ohne irgendjemand Bescheid zu sagen, würde Sara sie umbringen.
Der Hang war steiler, als Sara gedacht hatte, und oben angekommen, musste sie Halt machen, um Atem zu schöpfen. Alles war voll mit Müll, Bierdosen lagen unter den Bäumen verstreut wie Herbstlaub. Sie blickte zurück zum Parkplatz hinunter, wo Jeffrey gerade die Frau
Weitere Kostenlose Bücher