Grappa 02 - Grappas Treibjagd
du aus, dachte ich, ich heiße zwar Maria, aber mit Nachnamen nicht Caritas. Wenn Lämmchen auf den Arm wollte, dann bitte nicht auf meinen. Außerdem musste ich hier raus, bevor er merkte, dass ich die Akte Bartusch geklaut hatte.
»Der letzte Lammrücken ist mir leider verschmort … Ich muss jetzt aber wirklich gehen …« Ich stand auf. »Vielen Dank für Ihre Hilfe, Herr Naider. Und wenn Ihnen noch etwas einfällt, dann melden Sie sich doch mal bei mir.«
Ich reichte ihm die Hand, und er hielt sie fest. »Sagen Sie doch Agnus zu mir!«, forderte er mannhaft und schaute mir direkt in die Augen. Seine spitze Nase berührte mich fast, sein Kinn bebte. Die Stimme zitterte, seine Finger gruben sich in meine Handinnenfläche.
»Aber gerne sage ich Agnus zu Ihnen«, flötete ich. Die gelbe Akte verbrannte mir durch das Leder fast die Hand. »Auf Wiedersehen …«
Ich ging in Richtung Tür. Mein Nacken kribbelte, denn ich wusste, dass er mir nachsah. Was war nur mit mir? Sah ich nun schon überall Gespenster, vermutete überall Mörder und Sexualtäter?! Der Mann war harmlos, das stand fest.
»Wir sehen uns bestimmt bald wieder!«, rief er mir hinterher. Diese Ankündigung erfreute mich weit weniger, als er es wohl vermutete.
Ein abgewiesener Liebhaber?
Zu Hause klingelte das Telefon. Es war Peter Jansen. »Der Obduktionsbefund liegt vor«, sagte er wie immer knapp und präzise. »Keine Vergewaltigung, Tod durch Ersticken. Etwa zwei Promille Blutalkoholgehalt.«
»Wie ist sie erstickt?«
»Der Mörder hat ihr die Arme festgehalten und ihr ein Kissen aufs Gesicht gedrückt. Sie war durch den vielen Alkohol zu benommen, um sich richtig wehren zu können, glaubt die Kripo.«
»Und warum die vorgetäuschte Vergewaltigung?«
»Man weiß es nicht genau. Die Staatsanwaltschaft geht trotzdem von einem Triebtäter aus, der vielleicht nicht in der Lage war … Du verstehst schon.«
Ich verstand schon. »Hat die Polizei eine Spur?«
»Viele Spuren, aber es ist keine heiße dabei. Wie das in solchen Fällen so ist. Hinweise aus der Bevölkerung, Zeugen müssen überprüft werden und so weiter. Du kennst die Ausreden, die gemacht werden, wenn die konkrete Spur fehlt.«
»Und was macht ihr draus?«
»Nur eine kurze Notiz, ohne Einzelheiten.«
»Ich danke dir. Ich kann es immer noch nicht so richtig fassen«, sagte ich.
Er machte eine Pause. »Machst du Fortschritte bei deinen Recherchen?«
»Ich bin erst am Anfang. Ich habe mich gerade mit Lauras Kollegen unterhalten.«
»Und? Hast du was rausbekommen?«
»Ich weiß noch nicht. Ich hab allerdings das Gefühl, dass diese Seelenklempner nicht sauber ticken.«
»Wieso?«
»Er war in Laura verliebt, und sie hat ihn abblitzen lassen.«
»Interessant! Die Polizei sucht einen abgewiesenen Verehrer!«
»Vergiss es! Dieser Naider ist harmlos. Außerdem scheint er es überwunden zu haben, denn er hat versucht, mich anzubaggern.«
»Und? Hatte er Erfolg?«
»Peter! Ich suche einen Mörder und keinen Liebhaber!«
»Ich dachte nur, du wolltest nicht bis zu deinem nächsten Urlaub in Brasilien warten.«
Ich lachte. »Für mich ist ein Mann kein Sexualobjekt, sondern die Sexualität ist ein Kennzeichen des Mannes. Außerdem kann ich warten, weil ich weiß, wer mich erwartet!«
»Ich verstehe. Sei trotzdem vorsichtig, Maria! Du neigst zu unbedachten Handlungen.«
»Keine Sorge. Noch habe ich alles im Griff. Ist ja auch noch nicht viel, was ich ermittelt habe.«
Er verabschiedete sich. Ich holte eine Flasche Wein aus dem Keller. Sie sollte mir helfen, die neuen Eindrücke zu verarbeiten. Der Korken ploppte aus dem Flaschenhals. Der Alkohol passte nicht in meinen Diät-Plan, genauso wenig wie Zucker im Kaffee. Es war mir egal. Ich goss mir ein und sagte: »Auf dich, Laura!« Ich trank und holte die gelbe Akte.
Ist »Onkel Herbert« auch der Mörder?
Laura hatte den Fall »Beate Bartusch« in langen Gesprächen mit dem Kind ermittelt und in allen schrecklichen Einzelheiten in der Akte dokumentiert. Es war die Geschichte eines jahrelangen Verbrechens, das fast niemandem aufgefallen war. Ich las:
Mit sieben Jahren wird Beate von den Eltern – auch der Mutter – auf sexuelle Dienstleistungen trainiert. Ihr Vater macht Fotos und bietet sie in einschlägigen Magazinen an, mit sich selbst als Darsteller. Das Geschäft scheint zu blühen. Ein Jahr später wird Beate als »sexhungrige Lolita« angeboten. Die »Kunden« kommen danach ins Haus. Vater Bartusch steigt von
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