Grappa 02 - Grappas Treibjagd
Abendessen ein. Es gab das seit langem geplante »Lamm auf provenzalische Art«.
Naider schaufelte das Essen gierig in sich hinein, trank hastig den Wein, formte nervös mit seinen dünnen Fingern Weißbrotkügelchen. Er schien mir völlig verwahrlost zu sein.
Hätte er bloß nicht seine sichere Stelle bei der Stadt aufgegeben. Er war kein Mensch, der sich in freier Wildbahn durchsetzen konnte.
Nach seinem dritten Stück Lammkeule bemerkte ich: »Agnus! Sie haben Ihre Praxis im falschen Stadtteil aufgemacht. Sie müssen sich im Bierstädter Süden niederlassen, dort, wo die gut verdienenden Singles wohnen, die Ärzte und Rechtsanwälte oder die sexuell unbefriedigten grünen Witwen. Die fallen auf den Psychokram rein und können jedes Honorar bezahlen. Denen reicht es schon, wenn ihnen jemand zuhört.«
Er klaubte sich die Krümel aus dem Bart und holte sich mit dem Zeigefinger ein Stückchen Zwiebel zwischen den Zähnen hervor. Das Wort »Tischmanieren« erhielt durch ihn eine ganz neue Bedeutung.
Ich sah fasziniert, wie er sich ein Stück Tomate von seinen Jeans klopfte und es auf meinem Ledersofa verteilte. Ich würde wohl die Wohnung nach diesem Abend renovieren müssen, wenn das so weiterginge. Dann nahm er den Salatteller ans Kinn und schlürfte den Rest des Dressings in sich hinein. Dabei gab er ein zufriedenes Grunzen von sich.
»Also was halten Sie davon? Warum verlegen Sie Ihre Praxis nicht in eine bessere Gegend?«
»Ich habe keine Lust, mich mit diesen reichen Leuten abzugeben!«, sagte Naider. »Die machen sich Probleme, aber sie haben keine.«
»Na und? Hauptsache, sie zahlen dafür. Ich sehe Ihnen doch an, dass es Ihnen nicht rosig geht. Wollen Sie nicht doch lieber wieder eine feste Stellung annehmen? Im öffentlichen Dienst oder in einem Krankenhaus?«
Er blickte grimmig und war störrisch wie ein Esel. Dann rührte er sich drei Löffel Zucker in den Kaffee.
Ich musste das Thema wechseln. »Was macht die Liebe?«, fragte ich und gab meiner Stimme einen unbeschwerten Ton.
»Nichts macht die Liebe«, sagte er, »die Frauen, die ich will, bekomme ich nicht, und die ich bekommen könnte, die will ich nicht. So sieht es aus. So hat es immer ausgesehen. Und das wird sich auch so bald nicht ändern!« Sein Ton klang bitter.
»Ach, hören Sie doch auf! Sie haben sich doch überhaupt nicht bemüht, eine Partnerin zu finden! Glauben Sie an die Märchenprinzessin, die mal kurz bei Ihnen vorbeischaut und Sie abholt?«
Er war antriebsschwach und feige. Ich hoffte, der Abend wäre endlich vorbei. Warum nur hatte ich mich wieder mit dem weinerlichen Burschen eingelassen?
»Alles wäre anders gekommen, hätte Laura es wenigstens versucht mit mir.«
Oh nein, nicht schon wieder diese alte Leier! Er hörte mein heimliches Flehen nicht und trug dick auf.
»Ich habe ihr mein Leben zu Füßen gelegt, nachdem ich sie monatelang umworben hatte. Und sie hat angeblich nichts gemerkt. Hat mein Verhalten für normal gehalten, für ganz normal. Als ob es normal gewesen wäre, dass jeden Morgen frische Blumen auf ihrem Schreibtisch standen. Oder war es etwa normal, dass ich sie ständig zum Essen einlud, dass ich ihr Bücher schenkte oder dass ich ihr die unangenehme Arbeit im Büro abnahm? Sie hat alles hingenommen, und mir machte das Mut – Mut, so weiterzumachen. Sie hat mich ausgenutzt. Und als ich meinen Lohn wollte, da war sie …« Er verstummte.
»Welchen Lohn?«, fragte ich nach. Ich war hellhörig geworden.
»Im Büro«, schrie er wütend, »an irgendeinem Tag, ich wollte sie nur küssen, wenigstens einmal. Sie gab mir einen Kuss auf die Wange. Mehr nicht. Dann sagte sie mir eiskalt, dass es mehr von ihr nicht gäbe. Nie und nimmer. Und ich sollte den Quatsch mit den Blumen lassen. Sie würde abgeschnittene Blumen hassen, weil sie sterben würden. Sie schaute mich dabei mitleidig an. Und wenn ich was nicht ertragen konnte, dann war es ihr Mitleid! Monatelang hatte ich mich zum Narren gemacht. Ihnen hat sie doch sicherlich auch alles erzählt über den Idioten im Büro, oder?«
»Nein. Sie hat Sie niemals erwähnt!«
»Aber von Ellenbogen hat sie erzählt, oder? Ausgerechnet die schöne Laura verliebt sich in einen Verbrecher, der es mit Kindern treibt. Und hat es bis zuletzt noch nicht einmal gewusst!«
Hass und Wut machten seine Stimme um einige Lagen höher. »Natürlich hat sie es gewusst«, widersprach ich, »warum hätte er sie sonst umbringen sollen?«
Naider schüttelte den Kopf. »Nein,
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