Grappa 05 - Grappa faengt Feuer
Unbill, »eine bohnenartige Hülsenfrucht, die Schwindel und Muskelschwäche verursacht. Schon die alten Ägypter …«
»Sie haben recht«, unterbrach Kondis, »wie gut einen solchen Experten an meiner Seite zu haben.«
Die Ironie in seiner Stimme war nicht zu überhören. Er kann sich nach dem Vorfall von gestern eine kesse Lippe erlauben, dachte ich, er hat alle Gruppenmitglieder auf seiner Seite.
»Ich bleibe hier«, jammerte Martha Maus, als wir losgelassen wurden. »Meine Beine sind heute schlimm. Ich setze mich hierher und warte. Lasst euch bitte nicht stören!«
Zu zweit oder zu dritt schlenderten die anderen über das Gelände. Ich hatte keine Lust auf Konversation oder die ständigen »Ahs« und »Ohs« und »wie interessant!«
Im Labyrinth versuchte ich mir das Dunkel und die Angst von früher vorzustellen. Da gingen Menschen durch Gänge mit dicken Mauern, fanden sich nicht zurecht, stießen sich den Kopf, bekamen Panik, weil sie glaubten, nie wieder den Ausgang finden zu können.
In den Saal der Totengöttin Persephone musste man über eine steile Eisenleiter hinuntersteigen. Die Stufen waren schmal und führten zu dem unebenen Boden eines Gewölbes, in dem nur eine einzige Glühbirne brannte. Zunächst war ich blind, denn meine Augen waren an das gleißende Sonnenlicht gewöhnt. Ich stand eine Weile bewegungslos in dem Raum. Es roch nach feuchtem Moder.
Vorsichtig bewegte ich die Füße nach vorn und streckte die Arme parallel zum Körper aus, um nicht die Balance zu verlieren. Wo waren die anderen?
Plötzlich fühlte ich eine Hand auf meinem Arm. Ich erschrak, schnellte herum und sah eine Gestalt vor mir stehen.
»Hast du den Obolos?«, fragte der Mann.
»Kondis!«, sagte ich. »Lass den Blödsinn. Du hast mich zu Tode erschreckt.«
»Den Obolos!« Die Stimme wurde drohend. »Wenn du den Obolos nicht hast, wird Kerberos dich bestrafen.«
Ich hatte einen Verrückten vor mir. Zeit gewinnen, dachte ich, das dämliche Götterspiel mitmachen.
»Wer bist du!«, fragte ich in einem nicht minder pathetischen Ton. »Wesen, sage mir, wer du bist!«
»Ich bin Hades, auch genannt Eubuleos und Stygeros.«
»Weiche von mir!«, stieß ich mit Grabesstimme hervor. »Ich bin Persephone, die Herrscherin über dieses Reich, Tochter des Zeus und der Demeter. Ich brauche keinen Obolos! Gehe mir aus dem Weg!«
Ich steuerte geradewegs auf den Kerl zu. Links hinter ihm war der Aufstieg nach oben. Ein schwacher Lichtschein verhieß Freiheit. Ich strengte meine Augen an, um den Mann zu erkennen, doch vergeblich. Er hatte sein Gesicht mit einem Tuch bedeckt.
Er trat auf mich zu, als ich gerade auf seiner Höhe war. Ich riss meine ganze Konzentration zusammen und versetzte ihm einen kräftigen Stoß. Dann kletterte ich die Leiter hoch und rannte aufs offene Feld.
Schwer atmend ließ ich mich auf einen großen Stein fallen. Dann erst fiel mir ein, dass ich einen großen Fehler gemacht hatte. Jetzt konnte der Mann ungesehen aus dem unterirdischen Saal nach oben klettern.
»Hier bist du!«, sagte eine Stimme. Ich zuckte zusammen. Es war Kondis.
Ich erhob mich stumm und griff nach meiner Tasche. Das Gras stieb auseinander, als ich an ihm vorbei lief.
»Was ist mit dir?« Er war völlig ahnungslos, als er mich eingeholt hatte. »Unser Streit von heute früh tut mir leid. Sei bitte nicht mehr böse!«
»Darum geht es nicht.« Meine Stimme zitterte ein bisschen. »Ich habe vor zehn Minuten einen Gott gesehen. Er hieß Hades und verlangte den Obolos von mir.«
Kondis lachte. »Du liest zu viel in der griechischen Mythologie. Lass uns zu den anderen gehen!«
»Ich mache keine Witze!« Dann erzählte ich ihm die Geschichte.
»Das war ein Spaßvogel!«, behauptete er. »Hattest du etwa Angst?«
»Es war unheimlich. Zuerst dachte ich auch an einen Spaß. Doch dann wurde die Sache irgendwie bedrohlich.«
Eigentlich hätte ich ihm jetzt die Geschichte von Daphnes Vergewaltigung erzählen müssen, doch ich stand im Wort. Das war derselbe Mann, dachte ich, mal hält er sich für Apollon, dann für Hades. Ein Göttertick!
»Komm, du Persephone.« Seine Stimme klang zärtlich. »Sie war so schön, dass sie von ihrer Mutter Demeter auf Sizilien versteckt wurde. Als Hades sie erblickte, verliebte er sich in sie. Doch er war hässlich und hatte keine Chance. Sein Bruder Zeus half ihm, und Hades konnte das Mädchen entführen. Die Ehe soll dann gar nicht so schlecht gewesen sein.«
»Wer in der Gruppe kennt sich in der
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