Grappa dreht durch
kein Fliegenspray?«
Seine Augen verfolgten das fröhlich herumsausende Insekt, das nicht ahnen konnte, daß der berühmte Starmoderator ihm ungeteiltes Interesse widmete.
»Fliegenspray nimmt mir den Atem. Die Chemie, die da drin ist, ist wesentlich schädlicher. Lassen Sie das arme Tier zufrieden«, schlug ich amüsiert vor, »ich öffne gleich das Oberlicht. Der Brummer wird froh sein, wenn er wieder draußen ist.«
»Fliegen übertragen schreckliche Krankheiten«, dozierte er.
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Die Mattigkeit aus seiner Stimme war verflogen und hatte eiserner Entschlossenheit Platz gemacht.
Die kleine Fliege sauste im Sturzflug durch das Zimmer. Dann ließ sie sich auf Rudi Mühlens Unterarm nieder und putzte ihre Augen. Es war eine grün und blau schillernde Schmeißfliege.
Mühlen kreischte los. Das Tierchen machte die Fliege. Mühlen griff zu einer Zeitung und stürzte zur gegenüberliegenden weißen Wand.
Ganz oben, für ihn kaum erreichbar, saß das Insekt. Er peilte es an. Ich bewegte mich in seine Richtung.
»Bleiben Sie dort stehen«, zischte er mich an.
»Jetzt reicht‘s aber!« sagte ich. »Das ist mein Zimmer! Meucheln Sie die Insekten in Ihrem Büro!«
Er hörte mich nicht. Mühlen stand auf Zehenspitzen und hatte den Arm bereits zum Schlag erhoben. Dann sauste die Hand mit der zusammengefalteten Zeitung nach vorn.
»Ich hab sie erwischt!« jubelte er. Triumphierend schaute er auf den Fleck auf dem Zeitungspapier. Seine Augen drückten tiefe Genugtuung aus.
»Vielen Dank für das Glas Wasser!« sagte er dann. Seine Stimme klang wieder matt. Er legte die Hand auf die Stirn und stöhnte leise auf.
»Wollen Sie nicht lieber nach Hause gehen?« fragte ich. Meine Stimme war belegt.
Er antwortete nicht. Nach wenigen Schweigesekunden verließ er den Raum genauso überraschend, wie er gekommen war.
Mein Blick fiel auf den Fleck an der Wand. Er sah häßlich aus. Mit einem feuchten Papiertaschentuch wischte ich die Reste der kleinen Fliege fort. Ein zarter Flügel taumelte wie eine Feder nach unten. Ich sah ihm nach. Warum war Mühlen beim Anblick der kleinen Fliege durchgedreht? Bettys Worte fielen mir wieder ein. Hier hat jeder eine Macke, hatte sie gesagt.
Nachdem ich ein paar Mal tief durchgeatmet hatte, wählte
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ich Ritas Nummer. Sie antwortete mit einem hoffnungsvollen »Hallo?«
»Ich bin‘s nur. Gibt es Neuigkeiten von Carola?«
»Nein, nichts. Das Telefon hat zwar geklingelt, doch es war Johns Bank, die sich bei mir gemeldet hat. John hatte ein Schließfach gemietet, das nun geleert werden soll. Ich hatte keine Ahnung davon. Vielleicht finden wir dort den Film, den die Entführer haben wollen.«
Ich pfiff leise durch die Zähne. »Sehr gut, Rita! Ein Schließfach! Das könnte uns weiterhelfen. Wann willst du zur Bank gehen?«
»Heute nachmittag. Bertha bewacht so lange das Telefon, bis du da bist.«
»Das hast du gut organisiert«, lobte ich sie, »du wirkst so gefaßt. Kraftvoller als gestern. Was ist passiert?«
»Bertha hat mir eine Valium-Tablette gegeben. Mit einer geringen Dosierung. Aber sie wirkt Wunder. Ich bin die Ruhe selbst.«
»Die gute alte Bertha! Aber gewöhne dich bloß nicht daran, Tabletten zu nehmen! Ich sehe, daß ich schnell hier wegkomme. Bis dann!«
Mein Leben ist ein Jammertal - mit Lichtblick
Eigentlich wäre dies der Abend gewesen, an dem ich mit Mike Zech hätte speisen sollen. Doch ich hatte den Termin wieder abgesagt. Ob das Bedauern in seinen lila Augen echt gewesen war? Ich wollte nicht darüber nachdenken.
Wir waren mal wieder in Ritas Wohnung, das Telefon in der Nähe. Entführer rechnen mit den schlechten Nerven der Angehörigen ihrer Opfer. Lassen sie gern schmoren, um sie an den Rand des Wahnsinns zu bringen. Die einzige Möglichkeit, das zu verhindern, ist ständige Beschäftigung mit alltäglichen Dingen.
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Ich hatte eingekauft und bereitete gerade ein kaltes Abendessen. Schnittchen mit Lachs, kaltem Braten und Parmaschinken. Im Supermarkt hatte ich Brokkoli in der Hand gehabt. Al dente mit einer Vinaigrette, in die feinst geschnittene Schalotten geworfen worden waren, konnte ich dem Gemüse eine Menge abgewinnen. Vielleicht noch eine halbe Knoblauchzehe auspressen und in die Soße rühren. Und schön durchziehen lassen. Du trägst den falschen Namen, sagte ich zu dem Gemüse und überließ es dem Schicksal, von anderen Menschen zerkocht zu werden.
Ich blickte auf die Weinkollektion, die ich vorsichtshalber mitgebracht hatte.
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