Grappa dreht durch
es nicht so richtig hin.
»Tut mir leid, Rita!« Ich trat zu ihr hin, wollte den Arm um ihre Schultern legen, doch sie schlug ihn heftig beiseite.
»Wie schön, daß ihr beide so gerührt seid!« schrie sie los. »Habt ihr vergessen, daß ich seine Frau war? Ich habe solche Briefe nie von ihm bekommen, aber es wäre mein Recht gewesen! Er hat mit jeder Frau gefickt, die er kriegen konnte, und ihr beiden seid hingerissen von seinem geschliffenen Briefstil!«
»Rita! John ist tot. Du kannst ihn mit deiner Eifersucht und
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deinen gekränkten Gefühlen nicht mehr erreichen! Er hört dich nicht mehr!«
»Ich weiß!« resignierte sie. »Es ist so, wie es ist. Kann ich noch ein Glas Wein bekommen?«
Ich goß das Glas voll. »Wer kann die Frau sein?« wiederholte ich.
»Ich nehme an, daß es Bettina Blasius ist.« Ritas Stimme klang wieder normal. »Er hatte zwar auch eine Affäre mit dieser Ritzenbaum, doch die hätte ihn nie zu solch sentimentalen Meisterwerken veranlaßt!«
Rita war es gelungen, ihre Verletztheit durch Hohn zu ersetzen.
»Betty? Ja, das ist möglich. Ich weiß, daß sie ihn mochte. Was aber sollen die Andeutungen in dem Brief?«
Ich las die Worte noch einmal vor: »Hier steht es: >Doch wenn Du mich verlassen hast, bringen mich meine Vorstellungen und Phantasien an den Rand meiner Existenz. < Um welche Phantasien könnte es gehen?«
Niemand von uns hatte die Spur einer Idee. Schweigend tranken wir den Rest von dem Roséwein und knusperten die Schnittchen. Ich haderte derweil mit meinem Schicksal. Alle Geschichten, in denen ich meine Finger drin hatte, bekamen meist eine seltsame Eigendynamik. Sie entwickelten sich so rasant, daß ich mit meinen Recherchen nicht folgen konnte.
Bildfetzen schossen durch mein Gehirn: Der tote Masul mit den abgestoßenen Schuhspitzen, Alfons Brokkolis Schlangenleder-Puschen, Rudi Mühlens Migräneanfall in meinem Zimmer, Elvis Wüsten auf dem Boden, hinter einer Erdkröte her. Meine Gedanken gingen weiter zu BIG Boss, der keine Gelegenheit für Sticheleien ungenutzt ließ, ich dachte an Betty Blasius und Mike Zech. Die beiden waren sicherlich schon ein Liebespaar.
»Wir müssen rauskriegen, ob Betty Blasius klassische Musik mag.«
»Wieso?« Bertha hatte aufgehört zu kauen.
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»Er hat doch geschrieben, daß sie sich nicht für klassische Musik interessiert.«
»Das tun viele Menschen nicht«, mischte sich Rita ein, »ich übrigens auch nicht.«
»Es wäre ja nur ein kleiner Anhaltspunkt«, verteidigte ich meine Idee, »es könnte ja sein, daß Betty früher mal Klavierkonzerte gegeben hat!«
»Schnapsidee!« meinte Bertha. »Aber fragen kostet nix!«
»So, Mädels!« sagte ich aufmunternd. »Jetzt gucken wir uns den Rest der Sachen aus dem Schließfach an. Aber dazu brauche ich noch ein Gläschen Wein. Der Vernaccia ist inzwischen kalt genug!«
Ich schnappte mir die Gläser, spülte sie in der Küche aus und holte mit einem lauten »Plopp« den Korken aus der Flasche.
»Guck doch mal!« Bertha hatte inzwischen eifrig in dem Papierhaufen gewühlt. Sie reichte mir eine Zeitungsseite, die ein viertel Jahr alt war.
Masul hatte folgende Meldung markiert:
Tot aufgefunden wurde vergangene Nacht die 20jährige Prostituierte Elvira G. Der Körper der jungen Frau wies nach Angaben eines Polizeisprechers zahlreiche Verletzungen auf. Die Behörden gehen davon aus, daß Elvira G., die als Callgirl arbeitete, vor ihrem Tod von einem Triebtäter gefoltert worden ist. Spaziergänger entdeckten die Leiche am Rande des Kanals. Die Polizei ist sicher, daß der Körper der jungen Frau erst nach ihrem Tod zur Kanalwiese gebracht worden ist. Die Ermittlungen laufen auf Hochtouren.
Kein Streß für Brokkoli
Peter Jansen vom »Bierstädter Tageblatt« gab bereitwillig Auskunft: »Brokkoli ist der Babystrich-König, und er ist aktiv im Drogenhandel. Aber irgendwie kommt er immer davon. Bisher keine Verurteilung. Aber - sag lieber, wie es dir geht bei diesem Fernsehsender!«
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»Durchwachsen. Das Betriebsklima ist mies. Einer haßt den anderen. Wenn meine Zeit worüber ist, hoffe ich, daß ich wieder fürs >Tageblatt< arbeiten kann.«
»Grappa-Mäuschen, du bist immer willkommen. Uns fehlt deine kratzbürstige Art. Außerdem haben wir niemanden mehr, der alle Stories in Katastrophen verwandelt. Irgendwie ist alles stinklangweilig ohne dich.«
»Ich danke dir. Mein Gastspiel ist hoffentlich bald zu Ende. Die Geschichte, an der ich dran bin, ist höchst
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